Sachsen, März 2017:
mehr als 200 rechte Straftaten

Weiter hohes Fallaufkommen mit zahlreichen Körperverletzungen. Kein Überblick bei Reichsbürgern. 30 Verurteilungen stehen rund 170 eingestellte Verfahren gegenüber.

 

Weiter viele rechtsmotivierte Straftaten

 

Im Monat März wurden sachsenweit 202 rechtsmotivierte Straftaten (?) begangen oder bekannt. Das ergab meine jüngste Landtags-Anfrage (Drucksache 6/9140). Die Zahl bewegt sich auf dem Niveau des Wertes im Vormonat und rangiert deutlich über dem langjährigen Schnitt, der bei monatlich rund 160 Fällen liegt.

Unter den nunmehr verzeichneten Taten sind elf Körperverletzungen. Bei den Angriffen, die sich vor allem gegen MigrantInnen richten, wurden mehr als zehn Personen verletzt. Sämtlichen Fällen können bereits 88 Tatverdächtige zugeordnet werden.

Die vermeldeten Werte sind nur eine Momentaufnahme, mit einbezogen sind Nachmeldungen für frühere Zeiträume. Aber auch die Zahl der tatsächlich im März begangenen Taten wird sich durch spätere Nachmeldungen erfahrungsgemäß noch deutlich erhöhen. Schon deshalb steht eine Entwarnung im Schatten des sächsischen „Rekordjahres“ 2016 nicht an.

 

Aktivitäten der extremen Rechten

 

Im Laufe des März fanden sachsenweit mindestens 34 Aktionen statt, die als „rechtsextremistisch“ eingestuft sind (Drucksache 6/9139). Etwa die Hälfte davon geht auf die NPD und ihre Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) zurück. Vorrangig handelt es sich hier um niedrigschwellige Aktivitäten, etwa Informationsstände und Propaganda-Verteilungen.

Die Konkurrenzpartei „Der III. Weg“ führte neben einer Mitgliederversammlung in Plauen mehrere Aktionen zum „Heldengedenken“ durch, die faktisch keine öffentliche Aufmerksamkeit erheischten. Die Partei „Die Rechte“ tat sich am 18. März mit einem Aufmarsch in Leipzig hervor, an dem sich lediglich 170 Personen beteiligten. Eine mobilisierungsfähige Basis existiert vor Ort allem Anschein nach nicht, auch die Mitgliedergewinnung stagniert.

Mit Propagandaaktionen – unter anderem durch das Anbringen von Bannern und Plakaten an öffentliche Orten oder dem Verbreiten von „Wurfschnipseln“ – trat die „Identitäre Bewegung“ (IB) in Dresden, Leipzig, Bautzen und Aue in Erscheinung. In Zwickau fand überdies ein internes Treffen statt. Damit ist die IB weiterhin kontinuierlich aktiv, jedoch steigen Frequenz und Niveau der Aktionen seit einer Weile nicht. Die in diesem Zusammenhang zu beachtende „Ein Prozent“-Kampagne gilt nicht als „rechtsextrem“.

Auch Pegida unterliegt nicht der Beobachtung. Allerdings beteiligten sich an sämtlichen Dresdner Pegida-Versammlungen im März auch „Rechtsextremisten“.

 

Zahl der (bekannten) Reichsbürger steigt

 

Wie gewohnt schmallippig gibt sich das zuständige Innenministerium bei der Frage nach Aktivitäten sogenannter Reichsbürger (Drucksache 6/9145). Der jüngst vorgelegte Verfassungsschutz-Bericht veranschlagt deren Zahl in Sachsen „aktuell“ auf „ca. 500“, davon seien rund 25 zugleich als „Rechtsextremisten“ bekannt.

Ein Kuriosum ist, dass die vermeldete Zahl schon bei der Vorstellung des Berichts Makulatur war, Innenminister Ulbig sprach von einem „hohen dreistelligen Bereich“. Das bekräftigt er nunmehr auf meine Nachfrage. Grund für den steigenden Wert seien demnach anhaltende „Erkenntniszulieferungen“.

Gefragt nach aktuellen Aktivitäten und Straftaten durch „Reichsbürger“ antwortet der Innenminister indes gar nicht und verweist auf ein neues polizeiliches Lagebild, das im Frühjahr 2018 (!) vorgelegt werden soll. Das ist allzu mager: Tatsächlich werden Straftaten mit Reichsbürger-Bezug fortlaufend erfasst, in die Statistik politisch motivierter Kriminalität wurde dafür eigens eine neue Kategorie („Reichsbürger/Selbstverwalter“) eingeführt. Und für die Beobachtung von Aktivitäten, die nicht die Schwelle zur Straftat nehmen, ist nicht die Polizei zuständig, sondern das Landesamt für Verfassungsschutz – wo man über die Ausmaße wohl bis heute keinen belastbaren Überblick hat.

Das ist kein Wunder, denn jahrelang hatten sächsische Behörden die Ansicht vertreten, dass eine Reichsbürger-Szene in Sachsen nicht existiere.

 

Verurteilungen zu Anschlag in Zwickau und Blockade in Clausnitz

 

Im Laufe des Monats gab es im Zuständigkeitsbereich sächsischer Staatsanwaltschaften 30 Verurteilungen wegen rechtsgerichteter Straftaten (Drucksache 6/9141). Eine Auswahl:

Zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten wurde ein Mann verurteilt, der im Mai 2015 zwei selbst gefertigte Brandsätze in eine Asylunterkunft in Zwickau geworfen hatte. Das Gericht ging hier von versuchtem Mord in 15 tateinheitlichen Fällen aus. Der Täter war bereits Anfang September vergangenen Jahres festgenommen worden. Das Operative Abwehrzentrum kam ihm durch Videoaufzeichnungen einer Tankstelle auf die Spur, Fingerabdrücke überführten ihn.

Mit einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen kam derweil eine Erwachsene davon. Sie hatte sich im Februar 2016 in Clausnitz an einer Straßenblockade gegen einen mit Asylsuchenden besetzten Bus beteiligt. Eine vollständige juristische Aufarbeitung des Falles Clausnitz gibt es indes nicht: Ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen zwei Tatverdächtige, die im gleichen Zusammenhang die Straße mit Fahrzeugen versperrt haben sollen, wurde im März eingestellt.

Zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten und zwei Wochen wurde schließlich ein Mann verurteilt, der im September 2015 in Leipzig den Hitlergruß gezeigt und einem Ausländer einen Faustschlag versetzt hatte. Die Strafe wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und vorsätzlicher Körperverletzung wurde zur Bewährung ausgesetzt.

 

Keine Anklagen zu Angriff in Freital und Anschlag in Bautzen

 

Den Verurteilungen stehen im gleichen Zeitraum 168 Ermittlungsverfahren gegenüber, die wieder eingestellt wurden. In rund 70 dieser Verfahren wurden zwar Tatverdächtige ermittelt, aber aus verschiedenen Gründen nicht angeklagt.

Einer dieser ungeahndeten Fälle spielt in Freital. Dort waren unbekannte Täter am 2. Oktober 2015 in das örtliche Büro der Partei DIE LINKE eingebrochen, hatten im Innenraum randaliert und einen Teil des Mobiliars auf den Gehweg geworfen. Zu dem Zeitpunkt war das Büro nur notdürftig gesichert – wenige Tage vorher hatte es genau hier einen Sprengstoffanschlag gegeben, der, wie heute bekannt ist, auf das Konto der mutmaßlich rechtsterroristischen „Gruppe Freital“ geht. Im späteren Fall wurde eine Frau als Tatverdächtige ermittelt. Die zuständige Generalstaatsanwaltschaft Dresden, die zeitweise auch gegen die „Gruppe Freital“ ermittelte, stellte das Verfahren wegen Hausfriedensbruchs nunmehr ein.

Nicht angeklagt werden drei Männer, sie galten als Verdächtige eines Brandanschlags auf eine Asylunterkunft („Husarenhof“) in Bautzen im Februar 2016. In dem Fall, der durch die bundesweiten Medien ging, hatten die Täter sich Zutritt zu dem noch unbewohnten Haus verschafft, mehrere Liter eines Brandbeschleunigers im Treppenhaus verteilt und angezündet. Der Verdacht gegen die Verdächtigen, bei denen Hausdurchsuchungen stattfanden, ließ sich zuletzt aber nicht erhärten. Auch hier ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft erfolglos.

Viele weitere, weniger bekannte Fälle werden nicht mehr geahndet. Folgenlos bleiben etwa die „Sorbenschweine“-Rufe im Fanblock von Budissa Bautzen im Oktober 2016. Nicht weiter verfolgt werden außerdem zwei Männer, die sich im Juni 2016 im Bereich einer Legida-Versammlung vermummt haben sollen.

 

Pöbeleien am 3. Oktober in Dresden wurden nicht aufgeklärt

 

In weiteren fast 100 der Ermittlungsverfahren, die im März eingestellt wurden, konnten keine Tatverdächtigen ermittelt werden.

So bleibt berispielsweise unaufgeklärt, wer im Februar 2016 in Leipzig auf einem Grundstück, auf dem eine Moschee gebaut werden soll, einen Schweinekadaver mit der Aufschrift Mutti Merkel“ ablegte. Einen ähnlichen Fall gab es im August in Schneeberg. Hier war an einer Straße ein aufgespießter Schweinekopf aufgestellt und mit der Aufschrift „Refugees not welcome“ versehen worden.

Ergebnislos zu den Akten gehen schließlich auch mehrere Pöbelattacken am „Tag der Deutschen Einheit“ in Dresden. Dort war es unter anderem gegen beleidigende Ausrufe gegen die Bundeskanzlerin und rassistische Beschimpfungen gegen einen Gottesdienstbesucher gekommen. Täter wurden nicht ermittelt.

 


Nach rechtsmotivierten Straftaten, entsprechenden Verurteilungen, Aktivitäten der extremen Rechten und weiteren Themen frage ich monatlich. Die jüngsten Antworten können hier abgerufen werden. Zurückliegende Anfragen sind in der Parlamentsdokumentation des Sächsischen Landtages (EDAS) und bei kleineanfragen.de recherchierbar. Zum Vergleich erfrage ich regelmäßig auch das Aufkommen linksmotivierter Straftaten: Im Monat März wurden demnach 72 Fälle verzeichnet (Drucksache 6/9143), etwa ein Drittel des Fallaufkommens von rechts.

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