Gedenken am 1. September in Colditz: Den Ungeist des Krieges zurückdrängen!

Am 1. September, 77 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen und dem Beginn des II. Weltkrieges, habe ich mich gemeinsam mit meinem Fraktionskollegen Franz Sodann an der Gedenkveranstaltung des Kreisverbandes der LINKEN Westsachsen auf Schloss Colditz beteiligt (Aufruf hier).

 

Aus diesem Anlass hielt ich nachfolgende Rede:

 

Geschichte ist alles andere als eine exakte Wissenschaft. Sie produziert Ideologie und sie gründet auf Ideologie. Geschichtsschreibung schafft Mythen. Sie schafft Mythen, die politisch genutzt werden. Bisweilen noch hunderte oder gar tausende Jahre später.

Wir kennen es doch alle: Handelte es sich darum, dass Deutschland den polnischen Sender Gleiwitz überfallen hat, oder war es in Wirklichkeit so, dass „ab 5.45 Uhr zurückgeschossen wurde“? Lag der tiefere Grund für den II. Weltkrieg im erpresserischen „Schandfrieden von Versailles“, lag er im rassistischen Imperialismus der Nazis?

Die Antworten werden unterschiedlich ausfallen. Nicht wegen eines unterschiedlichen Wissensstandes, so wegen des jeweiligen politischen Standortes. Die Gefechte um die Deutungshoheit über die Geschichte dauern oftmals Jahrzehnte an. Die entsprechenden Werke, die die entsprechende Geschichtsschreibung revidieren wollen, sind bis heute teilweise Bestseller. Ich will als Beispiel nur den Band „1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte“ des ehemaligen Generalmajors der Bundeswehr Gerd Schulze-Rhonhof nennen. Im November 2015 ist die bereits neunte Auflage erschienen.

Trotz solcher Erfolge ist diese Art des Geschichtsrevisionismus ein Auslaufmodell. Damit füllt man keine Säle mehr, damit bringt man erst recht keine Massen mehr auf die Straßen. Heute instrumentalisiert man Geschichte anders. Und erst recht die Kriege. Die Geschichten müssen Menschen mobilisieren können. Man muss ihnen Mythen bieten. Geschichte von der angreifenden Übermacht und von heroischen Verteidigern, die bis zum letzten Mann kämpfen. Die letztlich nur besiegt werden, weil es Verräter gibt, die mit dem Feind kollaborieren. Man braucht echte Helden, die für eine gute Sache kämpfen.

Dann werden solche Helden sogar zum Pop. Die schwedische Metal-Band „Sabaton“ hat ihre jüngste Platte genau solchen Heldenfiguren gewidmet. Da wird der schottische Kampf gegen die Engländer besungen, natürlich die Husaren, die 1683 Wien vor den Türken retteten, die Schlacht von Shiroyama 1877, die den Untergang der japanischen Samurai bedeutete. Der Krieger, der Soldat, wird jeweils als Vorbild geschildert, dem es nachzueifern gilt.

Es sind Krieger, die für eine verlorene Sache kämpfen, die dies ganz genau wissen, die im Bewusstsein der bevorstehenden Niederlage kämpfen. Im Film „Der letzte Samurai“, der auch die Schlacht von Shiroyama zum Inhalt hat, sehen die Samurai, dass all ihre Kriegskunst letztlich nichts nützt, dass ihr Mut den überlegenen Waffen nicht trotzen kann. Die Niederlage ist sicher. Es bedarf nicht vieler Worte zwischen ihnen: Sie sitzen auf und reiten einen letzten Angriff.

Das französische Schriftsteller Jean Raspail, inzwischen auch zum Kultautoren der extremen Rechten in Deutschland geworden, greift genau diese Haltung auf, wenn er gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wie selbstverständlich erklärt: „Wenn man eine (fast) verlorene Sache vertritt, muss man ins Horn stoßen, aufs Pferd springen und einen letzten Ausfall wagen.“

Das ist der Geist, der heute jungen Anhängern der extremen Rechten ins Bewusstsein eingepflanzt werden soll: Die letzte Schlacht steht bevor, der Feind ist bereits eingefallen, es ist schon eine Minute vor zwölf, wenn überhaupt, dann hilft nur noch absolute Entschlossenheit, der Kampf mit allen Mitteln. Letztlich also handelt es sich um einen Geist, der Terrorismus rechtfertigt und sogar zu Notwendigkeit erklärt.

Das Zeichen dieser jungen extremen Rechten, der so genannten Identitären, ist das griechische Lambda. Das Zeichen der Spartaner auf ihren Schilden. Der Spartaner des Jahres 480 vor unserer Zeitrechnung, die bei der Schlacht an den Termopylen bis zum letzten Mann Widerstand gegen das vorrückende Perser-Heer leisteten. Nach der Ideologie der „Identitären“ leben wir in einem „Vor-Bürgerkrieg“. Die Formulierung lässt Schlimmes befürchten.

Wenn wir am 1. September, dem weltweiten Antikriegstag, erklären, dass wir Krieg immer und überall unseren Widerstand entgegensetzen werden, dann tun wir das in dem Wissen, dass Aggression nach außen immer eng zusammenhängt mit Unterdrückung im Inneren, dass er auch der „Inneren Mobilmachung“ bedarf. Wir müssen also auch den Geist des Krieges zurückdrängen.

Und wenn die alte Feststellung „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ noch immer zutrifft – und ich bin überzeugt davon –, dann sind es nicht nur die Rüstungsprofiteure, die wir anprangern müsse, nicht nur jene, die ein Flüchtlingsabkommen mit der Türkei schließen, das augenzwinkernd den Krieg gegen die Kurden akzeptiert, sondern auch jene, die den Geist des Krieges in den Köpfen der Jugend verankern wollen.

Das ist unsere Aufgabe. Nicht nur am Antikriegstag, sondern tagtäglich.

 

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