In Sachsen ist der Erfolg der AfD der Misserfolg der CDU. Für die Wahlen 2019 heißt das Rechtsruck oder Rechtsruck.
André Barth ist Landtagsabgeordneter in Sachsen. Nicht irgendein Abgeordneter, sondern Parlamentarischer Geschäftsführer. Er gehört zu jenen Mandatsträgern der AfD, die sich nicht der Dissidentengruppe um die ehemalige Parteivorsitzende Frauke Petry angeschlossen haben. Innerparteilich fungiert er als Leiter des Landesfachausschusses »Demokratie und Grundwerte, Europa« der AfD und als stellvertretender Vorsitzender des einflussreichen Kreisverbandes Sächsische-Schweiz-Osterzgebirge.
Speziell die Sächsische Schweiz ist eine der traditionellen Hochburgen der extremen Rechten in Sachsen. Doch Barth, der 2014 noch auf Platz 4 der Landesliste angetreten war, schaffte es im Oktober nicht mehr, in einem der vier Wahlkreise seiner Region als Direktkandidat nominiert zu werden. Die vier Wahlkreise des Landkreises gelten eigentlich als sicher für die AfD. Hier hatte Frauke Petry bei der Bundestagswahl 2017 ein Direktmandat gegen einen langjährigen Platzhirsch der CDU gewonnen. Wer es nicht schafft, hier als Direktkandidat nominiert zu werden, hat erfahrungsgemäß schlechte Karten bei der Aufstellung der Landesliste.
Noch vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr hätte sich niemand Gedanken über Direktmandate für die AfD gemacht. 2014 hatte die AfD nicht einmal zehn Prozent der Stimmen und 13 Mandate erbekommen. Die jüngsten Umfragen von Ende August sehen sie übereinstimmend bei 25 Prozent. Inzwischen gelten in ganz Ostsachsen die Wahlkreise als relativ sicher für die Kandidierenden der AfD; weitere Direktmandate – besonders im sogenannten »Bible Belt« im Erzgebirge – scheinen möglich.
Der absehbare Erfolg der AfD ist zugleich der Misserfolg der CDU. War in der Vergangenheit die Nominierung als Wahlkreisbewerber_in der CDU quasi identisch mit dem Einzug in den Landtag gewesen, wird bei der Union nunmehr der Kampf um die Listenplätze wichtig. Plötzlich muss man darauf achten, möglichst prominente Kandidierende zu präsentieren. So tritt plötzlich Bernd Merbitz, der wohl bekannteste Polizist des Landes und Mitglied im Landesvorstand der CDU, als Direktkandidat in Nordsachsen an.
Die Angst geht um in der Union. Auf der einen Seite die AfD, die besonders im ländlichen Raum eine sehr reale Bedrohung darstellt, auf der anderen die LINKE, die in den drei Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz etliche Direktmandate erobern könnte. Bei knapp 30 Prozent rangiert die erfolgsverwöhnte CDU aktuell noch bei den Zweitstimmen, vor fünf Jahren waren es noch zehn Prozent mehr. Träfen die jetzigen Zahlen der Demoskopen zu, dann wäre nur eine Viererkoalition der CDU mit SPD, FDP und Grünen möglich, damit eine Regierungsbeteiligung der AfD abgewendet wird.
Für eine Partei, die von 1990 bis 2002 mit absoluter Mehrheit regiert hatte und seitdem stets auf willige Juniorpartner setzen konnte, ist ein solches Szenario eine Katastrophe. Vollmundig hat Ministerpräsident Michael Kretschmer, der seinen Wahlkreis bei der Bundestagswahl an einen unbekannten AfD-Mann verloren hatte, jegliche Koalition mit der AfD ausgeschlossen. Ein solches Zweierbündnis hätte natürlich eine Mehrheit. Von Juniorpartnerschaft könnte dann allerdings nicht mehr geredet werden; man begegnet sich vielmehr auf Augenhöhe.
Dabei hat sich, bleibt man im Lagerdenken, gar nicht so viel verändert. 1990 hatte die CDU allein noch 54 Prozent der Stimmen erhalten. Auf diesen Wert kämen CDU und AfD jetzt gemeinsam. Wie damals lägen FDP und Grüne knapp über der Fünfprozenthürde. Nur einen Unterschied gibt es: War 1990 die SPD noch doppelt so stark wie die PDS, so ist das Verhältnis aktuell nahezu umgekehrt.
Bei einer solchen Ausgangslage ist absehbar, dass die CDU weiterhin auf die von ihrem Ministerpräsidenten propagierte Doppeltaktik setzen wird. Einerseits verbale Abgrenzung gegenüber der AfD und sogar die symbolische Teilnahme führender Vertreter bei niedrigschwelligen Aktionen gegen rechts, andererseits inhaltlich eine noch deutlichere Ausrichtung an den Positionen der extremen Rechten.
Es ist bereits jetzt auffällig, dass der Landesverband des innerparteilichen Rechtsauslegers »WerteUnion« geradezu hofiert wird und dieser auch bereits personell im Landesvorstand vertreten ist – ausgerechnet durch Yvonne Olivier, eine Beamtin im Sozialministerium, die ihre politische Karriere im neurechten Thule-Seminar begonnen hatte. Und es steht zu erwarten, dass es auch bei den Direktkandidaten zur Landtagswahl einen Rechtsruck geben wird in der Hoffnung, damit Erfolge der Konkurrenz im rechten Lager einzuschränken.
All dies dürfte aber kaum ausreichen. Bleiben taktische Manöver indirekter Art, die allerdings im Erfolgsfalle gravierende Auswirkungen haben könnten. Prof. Werner Patzelt, CDU-Mitglied mit deutlichen Sympathien für PEGIDA, AfD & Co., erklärte kürzlich im Interview, für ihn hätte eine Querfront aus Sahra Wagenknecht, Frauke Petry und Antje Hermenau, ehedem Fraktionsvorsitzende der Grünen und inzwischen parteilos, durchaus Charme. Nun wird es diese Querfront, allen Kapriolen Wagenknechts zum Trotz, sicherlich nicht geben. Die beiden anderen Genannten jedoch verfolgen zumindest kurzfristig dieses Ziel. Eine »Sammlungsbewegung der Mitte« sollte, so der Plan bei den Vorgesprächen, entstehen.
Als Partner der »Blauen Partei« Petrys war der Landesverband der Freien Wähler angedacht. Der Plan hat sich zerschlagen. Was davon bleibt, das ist die »Bürgerbewegung für Sachsen« um Hermenau und den parteilosen Oberbürgermeister von Grimma, die für die Freien Wähler mobilisieren. Schaut man sich in deren Umfeld um, trifft man auf Personen, die bekannt sind durch einschlägige Aktivitäten im Umfeld von PEGIDA und anderen rechten Strömungen.
Das Kalkül der CDU ist also klar: Entweder die ominöse Sammlungsbewegung schafft den Landtagseinzug und steht damit als relativ unverdächtiger rechter Bündnispartner zur Verfügung, oder aber sie nimmt bei ihrem Scheitern der AfD wichtige Prozente ab, die deren Regierungsbeteiligung verhindern. Regen oder Traufe, Pest und Cholera: Welche der möglichen Prognosen sich auch bewahrheitet, beide bedeuten einen weiteren Rechtsruck.
Der Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift analyse & kritik