Nach mehr als vier Jahren ist der NSU-Ausschuss des Sächsischen Landtages am vergangenen Montag zum letzten Mal zusammengekommen. Letzter Akt der 18 Mitglieder war die Verabschiedung gleich mehrerer Abschlussberichte: Die Mehrheit aus CDU und SPD hat ein dünnes Heft vorgelegt, das auf sächsischer Seite weder ernste Fehler erkennt, noch politische Schlussfolgerungen aus dem NSU-Skandal ziehen will. Dagegen haben wir als DIE LINKE gemeinsam mit den Grünen einen umfangreichen Abweichenden Bericht (sogenanntes Sondervotum) erarbeitet, der die Themen und Resultate der Ausschussarbeit erschöpfend darstellt. Der Abweichende Bericht ist ab sofort abrufbar.
Zu wenig unternommen, zu früh aufgegeben
Wichtigstes Ergebnis aus unserer Sicht: Der sächsische „Verfassungsschutz“ hat bei der Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe rundweg versagt. Erstens hat das Amt viel zu wenig getan, um die 1998 untergetauchten Neonazis zu finden – obwohl die zutreffende Annahme bestand, dass sich die Flüchtigen in Sachsen aufhalten. Dem begegnete man aber mit Desinteresse. Zweitens behielt der Geheimdienst Informationen für sich, die wichtig für die sächsische Polizei gewesen wären – etwa der Hinweis, nach dem das „Trio“ einen Überfall plant und eine Waffe beschafft wird. Das nahm man nicht ernst.
Drittens waren die Versuche der Behörde, mit der Operation „Terzett“ an die Flüchtigen heranzukommen, völlig stümperhaft – und sie endeten vorzeitig, gerade zu der Zeit, als die NSU-Mordserie begann. Andernfalls hätten die Flüchtigen womöglich gefunden und die NSU-Taten so verhindert werden können.
Ernsthafte Konsequenzen gefordert
Unser Bericht schlüsselt die Zusammenhänge anhand der Aussagen zahlreicher Zeuginnen und Zeugen und der Inhalte umfangreicher Behördenakten detailliert auf. Das Sondervotum liefert auch erstmals eine kritische Gesamtdarstellung zur Raubserie des NSU in Sachsen und zu den Umständen und Folgen der „Selbstenttarnung“ der rechtsterroristischen Gruppe im November 2011.
Ausgehend von konkreten Fehlern sächsischer Behörden und angesichts der Tatsache, dass zwischenzeitlich neue rechtsterroristische Strukturen entstanden sind, fordern wir nun ernsthafte politische Konsequenzen. Der Bericht schließt daher mit einem Katalog aus insgesamt 46 Einzelvorschlägen ab. Zu ihnen gehört, dass sich die Staatsregierung zu ihrer Verantwortung bekennt – und die Betroffenen und Hinterbliebenen der NSU-Anschläge endlich entschädigt.
Für das LfV Sachsen sehen wir keine Zukunft: Die Behörde muss aufgelöst werden, sie hat mehr geschadet als genutzt und ist reformunfähig. Dagegen braucht der Freistaat endlich ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten. Zudem muss die Zivilgesellschaft viel stärker als bisher gefördert werden.
Kein Schlussstrich
Unser Weg zur Aufklärung war steinig, die Arbeit im Ausschuss gestaltete sich oft mühsam. Gerne hätten wir weitere Betroffene der NSU-Taten angehört, unter den gegebenen Kräfteverhältnissen war das leider nicht möglich. Wir können am Ende auch nicht alle Fragen beantworten, haben aber die Möglichkeiten des Untersuchungsausschusses weitgehend ausgeschöpft.
Wir stehen nun am vorläufigen Ende einer der aufwändigsten parlamentarischen Untersuchungen, die es bisher in Sachsen gab. Einen Schlussstrich unter das Thema ziehen wir aber nicht. Den weiteren Kampf gegen Rassismus und die extreme Rechte sehen wir vielmehr als eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Hintergrund
Der 1. Untersuchungsausschuss wurde im April 2015 auf Initiative der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingesetzt. Das Gremium hatte u.a. zu untersuchen, warum die Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe fehlschlug, die Anfang 1998 in Sachsen untergetaucht waren. Weitere Schwerpunkte waren die Raubserie in Chemnitz und Zwickau, die Umstände der „Selbstenttarnung“ des NSU im November 2011 sowie der behördliche Umgang mit Akten.
Der Ausschuss führte insgesamt 43 Sitzungen durch, bei denen 69 Zeuginnen und Zeugen sowie eine Sachverständige vernommen wurden. Die meisten ZeugInnen wurden auf LINKE-Initiative geladen und teils wiederholt angehört; zumeist handelte es sich um sächsische Polizisten und „Verfassungsschützer“. Insgesamt zwölf ZeugInnen, darunter V-Mann-Führer, durften nur geheim vernommen werden. Die Vernehmungen dauerten insgesamt rund 100 Stunden an, die Wortlautprotokolle füllen etwa 2.500 Druckseiten.
Daneben stützte sich der Ausschuss auf Beweismittel im Umfang von rund 1.600 Aktenbänden. In 95 Prozent der Fälle wurde die Beiziehung der Unterlagen durch die Fraktion DIE LINKE initiiert. Vorgelegt wurden v.a. Ermittlungsakten von Polizei und Staatsanwaltschaften sowie „Verfassungsschutz“-Unterlagen. Rund ein Drittel aller Akten – faktisch sämtliche Geheimdienst-Dokumente – waren als Verschlusssachen eingestuft und durften nicht für die Abschlussberichte herangezogen werden.
Bereits in den Jahren 2012 bis 2014 war mit dem damaligen 3. Untersuchungsausschuss ein ähnliches Gremium im Sächsischen Landtag aktiv, dass von den damaligen demokratischen Oppositionsfraktionen eingesetzt worden war. Auch am Ende dieses Ausschusses hatten mehrere unterschiedliche Abschlussberichte gestanden. Das damalige Sondervotum der Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte empfohlen, erneut einen Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex einzusetzen.