In den vergangenen Jahren wurden bei Ermittlungsverfahren gegen militante Neonazis und mutmaßliche Rechtsterroristen teils sehr umfangreiche Aufzeichnungen über politische GegnerInnen sichergestellt. Einige kursieren auch im Internet. Was hat es damit auf sich – und was können Betroffene tun?
Neu ist das Phänomen nicht, sondern es durchzieht die Geschichte des bundesdeutschen Neonazismus wie ein langer brauner Faden. Seit Jahrzehnten gehört das Ausspähen von GegnerInnen zum Standard-Repertoire der „Anti-Antifa“-Strategie und dem Versuch, direkte Konfrontationen mit nicht-rechten Personen herbeizuführen oder sie einzuschüchtern. Ende 2006 wurde etwa bekannt, dass Dresdner Neonazis systematisch regelrechte Akten über angebliche AntifaschistInnen angelegt haben, angereichert mit Details aus behördlichen Registern.
Beim bloßen Sammeln von Informationen bleibt es dabei nicht. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ hat besonders akribisch Daten zusammengestellt. Im Sondervotum zum sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss haben wir uns ausführlich mit Ausspähaktionen der Rechtsterroristen befasst: Die Gruppe pflegte eine Datenbank von Personen und Objekten („Zehntausender-Liste“), die teils für Anschläge und Überfälle in Betracht gezogen wurden. Rund 220 der verzeichneten Personen bzw. Institutionen haben einen Bezug nach Sachsen, darunter dutzende Abgeordnete. Bis heute sind nicht alle der teils codierten Eintragungen auf etlichen Stadtplänen entschlüsselt, und bis heute steht nicht fest, wer dabei alles assistierte.
Die „Antifa-Liste“
Die bisher größte Zusammenstellung von Namen und Daten, die in rechte Hände gelangt ist, basiert auf der gehackten Kundendatenbank eines Punk-Versandhandels aus Duisburg. Anfang 2015 hatten sich Neonazis unter der Bezeichnung „National Sozialistische Hacker-Crew“ dazu bekannt, die Daten erbeutet zu haben. Sie veröffentlichten zunächst Teile davon und drohten mit der Herausgabe von zehntausenden weiteren Datensätzen.
Offenbar aus derselben Quelle stammt eine umfassende tabellarische Auflistung, die erstmals im September 2016 verbreitet wurde. Enthalten sind Angaben zu insgesamt 24.521 Personen, denen in der Regel Anschriften, Mailadressen und Telefonnummern zugeordnet sind. Betroffen sein dürften an die tausend Personen aus Sachsen, vor allem aus Leipzig (265), Dresden (165) und Chemnitz (85).
Die Liste taucht seitdem immer wieder im Internet auf. Dort wird sie mitunter als „Extremisten-Datei“, „Antifa-Liste“ oder auch als Verzeichnis vermeintlicher „Antifa-Mitglieder“ bezeichnet. Das ist jedoch falsch: Weder handelt es sich um eine amtliche Datei, noch existiert „die“ Antifa als eine zusammenhängende Organisation. Vermutlich haben etliche und vermutlich sogar die allermeisten der verzeichneten Personen überhaupt keinen Bezug zur linken Szene oder zu antifaschistischen Vereinigungen. Dennoch rücken sie in den Fokus von Neonazis – die Veröffentlichung der Daten zog denn auch etliche offene Gewaltaufrufe nach sich.
Weite Verbreitung, wenige Informationen
Auch militante Kreise interessieren sich für genau diese Daten. Zumindest ein mutmaßliches Mitglied der militanten „Freien Kameradschaft Dresden“ hatte den Datensatz dem Vernehmen nach auf seinem Computer abgespeichert. Auch mehrere mutmaßliche Mitglieder von „Revolution Chemnitz“, die demnächst wegen Rechtsterrorismus vor Gericht gestellt werden, sollen Zugriff auf den Datensatz gehabt haben – in einer Chatgruppe, gemeinsam mit hunderten weiteren Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet.
Und: Die Prepper-Gruppe „Nordkreuz“, die vor rund zwei Jahren aufflog und sich darauf vorbereitet haben soll, an einem „Tag X“ loszuschlagen, verfügte neben weiteren personenbezogenen Aufzeichnungen ebenfalls über die vermeintliche „Antifa-Liste“. Darum geht es derzeit vor allem, wenn in den Medien über „Todeslisten“ von Neonazis berichtet wird.
Wie reagieren Behörden?
Der Fall zeigt, dass Behörden viel zu lässig mit dem Problem umgehen. Dass bei den „Nordkreuz“-Razzien überhaupt derart umfangreiche Daten aufgefunden worden sind, wurde erst nachträglich eingeräumt. Die meisten Betroffenen wurden von offizieller Seite bis heute nicht informiert – und in Sachsen gar niemand.
Der Grund: Nach offizieller Lesart, die seit einigen Tagen das Bundesinnenministerium und das Bundeskriminalamt verbreiten, lägen „grundsätzlich“ keine Anhaltspunkte dafür vor, „dass die aufgelisteten Personen konkret gefährdet sind.“ Informieren könne man Betroffene angeblich nur, „wenn weitere Erkenntnisse vorliegen, die eine konkrete Gefährdung begründen könnten.“
Keine konkrete Gefährdung – in Zeiten eines neuen Rechtsterrorismus? Der kürzlich ermordete Walter Lübcke war bereits in der Kartei des NSU verzeichnet gewesen, mögliche Bezüge des mutmaßlichen Mörders Stephan E. zum NSU-Netzwerk sind Teil der anhaltenden Ermittlungen.
Wozu werden die Daten gesammelt?
Begriffe wie „Feindesliste“ oder „Todesliste“ weisen Ermittlungsbehörden generell zurück, von bloßen „Informationssammlungen“ ist die Rede. Wozu sie dienen sollen, kann tatsächlich nicht generell gesagt werden. Entscheidend ist aber, dass es derzeit gerade um solche Daten geht, die in die Hände militanter bis terroristischer Neonazi-Gruppierungen gelangt sind. Wen diese Kreise kennen, der ist als Gegnerin oder Gegner bereits „vorgemerkt“ – oft ohne es zu wissen.
Abgesehen von der einschüchternden Wirkung darf auch nicht vergessen werden, dass es insbesondere bei extrem rechten Plänen für einen kommenden „Bürgerkrieg“ oder ein Losschlagen am „Tag X“ nicht bloß um verschrobene Rollenspiele in dubiosen Chatgruppen geht, sondern um konkrete Vorbereitungen im echten Leben. Mutmaßliche Mitglieder der „Nordkreuz“-Gruppe etwa sollen beabsichtigt haben, 200 Leichensäcke und Ätzkalk zu bestellen. Mehr zu „Nordkreuz“ und weiteren extrem rechten Netzwerken bietet das aktuelle Dossier der Informationsstelle Militarisierung.
Was tun?
Eine pro-aktive Information aller Betroffenen ist angesichts der Tragweite des Themas und der realen Gefahren alternativlos. Trotzdem gibt es keine bundeseinheitliche Lösung, ob und wie Betroffene zu informieren sind. Das Bundeskriminalamt verweist aktuell auf die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer, in denen jene Personen leben, die beispielsweise auf der „Antifa-Liste“ oder in ähnlichen Datensammlungen gelandet sind. Wer sich für betroffen oder gar bedroht hält, soll sich selbst bei den Landespolizeidienststellen melden – also bei der Polizei Sachsen bzw. dem LKA Sachsen.
Wer wissen will, ob er oder sie insbesondere auf der „Antifa-Liste“ steht, kann das teilweise selbst nachprüfen. Das Hasso-Plattner-Institut bietet dafür ein kostenfreies Tool. Es vergleicht die eigene E-Mail-Adresse mit den Inhalten großer Hacks und Datendiebstähle, darunter auch jenem, den die „National Sozialistische Hacker-Crew“ begangen hat.
Die besten Anlaufstellen für alle, die von rechter Gewalt betroffen sind oder sich bedroht sehen, sind die Opferberatungsstellen der RAA Sachsen.