Vor uns liegt ein bedeutsamer Prozess. Die Gruppe „Revolution Chemnitz“ ist nach der „Oldschool Society“ und der „Gruppe Freital“ bereits die dritte rechtsterroristische Vereinigung, die in Sachsen seit der Enttarnung des NSU ausgehoben wurde. Schon das, was bisher bekannt wurde, ist äußerst beunruhigend: Die mutmaßlichen Mitglieder sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant und auch beabsichtigt haben, eine Schusswaffe zu beschaffen. Medienberichten zufolge förderten die Ermittlungen auch Chat-Verabredungen zur regelrechten „Jagd“ auf Ausländer zu Tage – Szenen, die sich vor gut einem Jahr in Chemnitz dann tatsächlich abspielten. Die gedankenlose Beschwichtigung des Ministerpräsidenten Kretschmer im Landtag („Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd“) ist damit faktisch widerlegt.
Vom Prozess erwarte ich mir nun vor allem Aufschluss über die Vernetzung der militanten Neonaziszene, die in den vergangenen Jahren immer wieder im Freistaat zutage trat und die zu zerschlagen bisher offensichtlich nicht gelungen ist. Auch „Revolution Chemnitz“ kam nicht aus dem Nichts: Mehrere mutmaßliche Mitglieder waren schon sehr lange einschlägig bekannt. Sie sollen teils der verbotenen Neonazi-Gruppierung „Sturm 34“ angehört haben und zudem bis zuletzt mit einer Reihe weiterer Personen aus dem Umfeld dieser Schläger-Kameradschaft vernetzt gewesen sein – ein Gewaltpotential, das „Revolution Chemnitz“ hätte abrufen können, wenn die Gruppe nicht vorher aufgeflogen wäre. Auf meine Nachfragen zu Nachfolgeaktivitäten von „Sturm 34“ gab sich die Staatsregierung jedoch immer wieder ahnungslos.
Zuletzt ließ aufhorchen, dass mit Stefan E. der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 1. September 2018 in Chemnitz mitmarschiert sein soll. Im gleichen Demonstrationszug – angeführt von der AfD – hatten sich „Revolution Chemnitz“-Anhänger eingereiht. Was hier zusammenfindet, hatten sächsische Behörden offensichtlich nur unzureichend im Blick, falls überhaupt. Fragen im Prozess aufwerfen dürften jedoch Medienberichte, wonach einer der Hauptbeschuldigten mit dem sächsischen „Verfassungsschutz“ in Verbindung gestanden haben soll.
Es geht bei alledem nicht nur um Chemnitz, sondern wir beobachten eine langfristige Entwicklung, die der hiesigen Neonaziszene Auftrieb gibt – auch dadurch begünstigt, dass Behörden viel zu spät reagieren. Jüngstes Beispiel: Die Razzien gegen Anhänger der extremen Rechten im Raum Dresden am vergangenen Dienstag. Gut ist, dass durchgegriffen wird. Doch die dahinterstehende Struktur, die sogenannte „Reisegruppe 44“, war bereits seit mehreren Jahren bekannt. Nach wie vor ganz unbehelligt in Sachsen agieren kann auch die sogenannte „Brigade 8“, die zumindest Schnittmengen mit dem militanten „Combat 18“-Netzwerk aufweist. Der nächste Innenminister hat daher besonders viel zu tun. Er schuldet dem Freistaat, was alle seine Vorgänger versäumt oder verdrängt haben: ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten.