Der Vorgang ist befremdlich: In Groitzsch (Landkreis Leipzig) darf ein Stolperstein für ein Opfer des Nationalsozialismus nicht verlegt werden. Erinnert werden soll an Anna Reichardt, eine Jüdin, die im Frühjahr 1942 deportiert worden war. Zu ihrem Schicksal haben Schülerinnen und Schüler des Groitzscher Wiprecht-Gymnasiums mit Unterstützung des Leipziger Erich-Zeigner-Hauses monatelang recherchiert und so Reichardts letzten freiwilligen Wohnort in der Kleinstadt ermittelt.
Genehmigt wurde die Verlegung dort, am Ortsrand in der Leipziger Straße, aber überraschend nicht, weil sich der Verwaltungsausschuss der Stadt und Bürgermeister Maik Kunze (CDU) querstellen. Die LVZ hat jüngst über den Fall berichtet. Offenbar betrachtet die Stadtverwaltung die bedenkliche Entscheidung als „abschließend“. Das wäre aber fatal, denn es handelt sich um einen bislang einmaligen Vorgang im gesamten Landkreis – und womöglich noch weit darüber hinaus. Bundesweit wurden bereits mehr als 73.000 Stolpersteine in rund 120 Städten und Gemeinden verlegt, sie bilden das größte dezentrale Mahnmal der Welt.
Hinzu kommt, dass die Gründe für die Ablehnung vorgeschoben sind. So verweist der Bürgermeister auf das fehlende Einverständnis eines örtlichen Hauseigentümers – dessen Immobilie gar nicht direkt betroffen ist und auf dessen Zustimmung für die Verlegung auf öffentlichem Grund es nicht ankommt. Fadenscheinig ist auch die Behauptung, für die geplante Verlegung sei angeblich die falsche Adresse gewählt worden. Dabei gilt die Archivarbeit des Erich-Zeigner-Hauses als äußerst sorgfältig – mit Hilfe des Vereins, der sich um die Gedenkarbeit verdient gemacht hat, sind bereits zahlreiche Stolpersteine verlegt worden.
Soviel ich weiß, hat Herr Bürgermeister Kunze bislang nicht einmal ein praktikables Kompromissangebot unterbreitet. Das ist nicht nur blamabel, sondern auch ein Schlag gegen die öffentliche Erinnerungskultur, gegen ein vorbildliches Bildungsprojekt mit Jugendlichen – und gegen den gemeinsamen Kampf gegen jeden Antisemitismus. Wenn sich die Stadt Groitzsch nicht bewegt, sollte sich der Beauftragte der Staatsregierung für das Jüdische Leben in Sachsen des Themas annehmen.