Veralteter und magerer Verfassungsschutzbericht zeigt den desolaten Zustand des Landesamtes

Der heute vorgestellte neue Verfassungsschutzbericht erinnert mich an die alten, denn er gereicht dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) erneut nicht zur Ehre. Was dieses Mal besonders aufstößt: Der Bericht kommt viel zu spät – und liefert trotzdem viel zu wenig. Geschlagene anderthalb Jahre sind seit dem Vorgängertext verstrichen. Wenn jetzt erst eine Bilanz über das Jahr 2019 gezogen wird, hat das vor allem noch historischen Wert. Richtigerweise werden anhaltende Radikalisierungsprozesse betont, wird auf die starke Expansion besonders der rechten Szene hingewiesen. Aber solche dynamischen, gefährlichen und erschreckenden Entwicklungen wird man so nicht angemessen in den Blick bekommen.

Das LfV wird immer wieder als ein angebliches „Frühwarnsystem“ gepriesen – aber davon ist man weit entfernt. Berechtigte Warnungen werden verpuffen und eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit misslingen, wenn die Informationen nicht annähernd auf der Höhe der Zeit, sondern schlicht veraltet sind. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür enthält der Bericht leider nicht. Dabei müsste doch das, was im vergangenen Jahr passiert ist, der Behörde seit langem bekannt sein. In der enormen Verzögerung spiegelt sich wohl der desolate Zustand des LfV. Das zeigt ein Vergleich: In anderen Bundesländern wurden die Jahresberichte seit April vorgelegt, der Bund zog im Juli nach. Sieht man von Mecklenburg-Vorpommern ab, ist Sachsen das Schlusslicht. Das ist peinlich!

Das LfV Sachsen gehört außerdem zu einer Minderheit von sechs Landesämtern, die immer noch so tun, als gäbe es über die AfD und verfassungsfeindliche Strukturen innerhalb dieser Partei nichts zu sagen. Nur indirekt kommt der Bericht darauf zu sprechen, anhand von Kooperationen mit der verfassungsfeindlichen ,Identitären Bewegung‘. Ebenfalls nur ganz nebenbei erwähnt werden die „Neue Rechte“ mit Initiativen wie „Ein Prozent“, ferner „extremistische Prepper“. Bei der heutigen Pressekonferenz erwähnte LfV-Präsident Dirk-Martin Christian außerdem Verbindungen der rechten Szene mit Verschwörungstheoretiker und „Querdenkern“. Über all das hätte man gerne mehr erfahren, doch der Bericht schweigt dazu. Die größte Baustelle des LfV ist das LfV.

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