Unsere Großen Anfrage zur extremen Rechten in Sachsen stand heute Nachmittag auf der Tagesordnung für das Plenum des Landtages. Hier meine Rede, in der ich für unsere Fraktion für ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechen plädiere:
Seit dem Jahr 2011 werden im Freistaat Sachsen jeden Tag durchschnittlich fünf rechtsmotivierte Straftaten begangen. Das ist viel und es werden mehr: Im Jahr 2015 kletterte der Wert auf fast sieben Taten pro Tag. Insgesamt wurden von 2011 bis Mitte 2016 rund 10.300 Delikte mit einem rechten Tathintergrund verzeichnet. Im Jahr 2015 war die Fallzahl gegenüber dem Vorjahr um fast 40 Prozent angestiegen. Von einer Entspannung ist seitdem nicht auszugehen.
Die teils erst vorläufigen Werte, die bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage vorgelegt wurden, zeigen noch mehr: Immer häufiger richten sich die Straftaten gegen Asylunterkünfte, gegen vermeintliche oder tatsächliche politische Gegnerinnen und Gegner sowie gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole. Deutlich gestiegen sind im Zeitverlauf die Gesamtzahl und der Gesamtanteil von Körperverletzungen. Die erfassten Straftaten betreffen nach Einschätzung der Polizei darüber hinaus fast fünf Dutzend unterschiedliche Strafrechts-Normen. Mehrfach inbegriffen ist der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Die extreme Rechte ist selbstbewusst und gut organisiert. Sie sucht die Konfrontation. Angesichts dessen dürfen wir nicht sprachlos bleiben.
Der Sächsische Landtag hat sich in jüngster Zeit mit allzu vielen herausragenden Ereignissen befassen müssen: mit Freital und Heidenau, mit Clausnitz und Bautzen. Wir haben es davon abgesehen mit einem langfristigen und einem besonders ausgedehnten Problem zu tun, über das wir offen reden müssen. Denn es ist in der Vergangenheit offenbar nicht gelungen, regelrechte Hochburgen der extremen Rechten, in denen gezielt Angsträume geschaffen wurden, zu befrieden. Vorn an bei der aktuellen Entwicklung der Fallzahlen stehen nicht nur die Städte Dresden und Leipzig, sondern auch die Sächsische Schweiz.
Wenn Sie die Statistiken von Opferberatungs-Stellen hinzunehmen, in die mehr Informationen einfließen als in die polizeiliche Statistik, werden weitere „Hot Spots“ erkennbar. Darunter sind wohlbekannte Orte wie Wurzen, die schon vor 20 Jahren in einem ganz negativen Sinne Furore machten.
Meine Damen und Herren: Die Neunziger Jahre klopfen an! Wir sind gut beraten, naive Fehler von damals nicht zu wiederholen, als die Tür geöffnet und das Thema systematisch kleingeredet wurde. Dass das Thema in Wirklichkeit groß geblieben und zuletzt wieder angewachsen ist, verdankt sich leider auch politischen Fehlern.Dazu gehört, dass es die Staatsregierung bis heute versäumt hat, ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten vorzulegen.
Das Problem, vor dem der Freistaat steht, ist nicht nur unter kriminalistischen Gesichtspunkten relevant. Strukturen der extremen Rechten, insbesondere Ableger der Neonazi-Szene, existieren in Sachsen flächendeckend. Der vorläufige Abstieg der NPD hat daran nichts geändert. Und mit den Parteien wie „Der III. Weg“ und „Die Rechte“ stehen bereits neue Vereinigungen bereit, sie zu beerben. Der Vogtland-Kreis ist aktuell ihr Experimentier-Feld – von einer baldigen Ausweitung ist auszugehen.
Die Szene geht über alle Zersplitterungen hinweg arbeitsteilig vor – das zeigt ihre gezielte rassistische Agitation, die wir in den vergangenen drei, vier Jahren beobachten müssen.
Der extremen Rechten in Sachsen steht außerdem eine gut ausgebaute Infrastruktur zur Verfügung. Seit 2011 konnten mehr als 60 Objekte als Szene-Treffpunkte erschlossen werden. Einige davon werden dauerhaft genutzt. Und allein im vergangenen Jahr standen 45 Objekte zur Verfügung. Darunter ist mit dem sogenannten „Alten Schlachthof“ in Staupitz im Landkreis Nordsachsen auch eine der bundesweit bedeutsamsten Stätten für rechtsextreme Konzerte.
Es ist befremdlich, dass dagegen nicht eingeschritten werden kann. Stattdessen wurde dort ein Arrangement getroffen, das die Durchführung von zehn Konzerten pro Jahr ermöglicht. Solche Events sind für die Szene nicht nur Gelegenheiten zur weiteren Vernetzung – sondern auch eine kontinuierliche Einnahmequelle. Vor diesem Hintergrund ist das Herumdoktern an der Parteienfinanzierung, nur um die NPD zu treffen, nur eine Phantomdebatte. Ich erinnere mich außerdem noch gut, wie das Innenministerium sich vor vielen Jahren für einen sogenannten „Konzerterlass“ loben ließ, um rechtsextreme Musikveranstaltungen zu unterbinden. Dieser Erlass ist offensichtlich seit langem gegenstandslos.
Es ist natürlich nicht so, dass es keine Reaktionen gegeben hätte angesichts der Entwicklungen, die sich seit Jahren und – inzwischen – Jahrzehnten in Sachsen vollziehen. Inzwischen sind im Freistaat einige herausragende Gruppierungen verboten worden: Die „Skinheads Sächsische Schweiz“ im Jahr 2001, die Kameradschaft „Sturm 34“ im Jahr 2004, die „Nationalen Sozialisten Döbeln“ im Jahr 2013 und schließlich die „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ im Jahr 2014.
Ich zweifle nicht daran, dass diese Verbote richtig und notwendig waren. Aber ein Allheilmittel waren sie nie und werden sie auch künftig nicht sein. Diese Verbote erzählen auch im konkreten Fall keine Erfolgsgeschichten, die sich der Innenminister ans Revers heften kann: Erstens eilen die jüngeren dieser Maßnahmen der Realität hinterher.
Die Gruppe aus Chemnitz war ein gutes Jahrzehnt lang zunächst einmal gar nicht behelligt worden. Die Gruppe aus Döbeln war zum Zeitpunkt des Verbots schon nicht mehr relevant. Über ein mögliches Verbot der sogenannten „Nationalen Sozialisten Geithain“ wurde offenbar erst nachgedacht, nachdem die dahinterstehende Struktur diese Bezeichnung abgelegt hatte. Im Falle der „Terror Crew Muldental“ wurde ein Verbot erst geprüft, nachdem eine umfangreiche Gewaltwelle bereits die Gerichte beschäftigte.
Zweitens sehen wir, dass solche Maßnahmen antizipiert werden: Offenbar rein „vorsorglich“ hat sich Anfang 2014 die „Revolutionäre Nationale Jugend Vogtland“ der Partei „Der III. Weg“ angeschlossen. Restbestände der „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ sind den gleichen Weg gegangen. Frühere Führungspersonen der „Nationalen Sozialisten Döbeln“ sind bei den „Jungen Nationaldemokraten“ der NPD untergekommen. Der harte Kern der Neonazi-Szene verschleiert gezielt die eigenen Strukturen und sucht Zuflucht unter dem „legalen“ Dach von Parteien.
Dieses Verwirrspiel war besonders erfolgreich im Falle des Kameradschafts-Verbandes „Freies Netz“. Hier fiel das sächsische Innenministerium auf einen Vernebelungs-Versuch von rechts herein und mochte nicht einmal eine Struktur erkennen. In Bayern dagegen ist eine ähnliche Struktur – das „Freie Netz Süd“ – verboten worden. Es sind einige ihrer Führungspersonen, die inzwischen ganz gezielt nach Sachsen ausgewichen sind und hier die Neonazi-Partei „Der III. Weg“ hochziehen.
Drittens, und das ist das größte Problem: Das Verbot einer Gruppierung richtet nicht nur gegen die Ideologie nichts aus. Sondern sie sind auch völlig machtlos gegen die gefestigten Netzwerke, deren Anhängern es am Ende egal ist, ob und unter welcher Bezeichnung sie nach außen hin auftreten. Schauen Sie, was in Heidenau passiert ist, und schauen Sie, wer am Überfall in Leipzig-Connewitz vor einem Jahr beteiligt war: Da treffen Sie auf alte Kader der „Skinheads Sächsische Schweiz“. Da stoßen Sie auf ein Kapitel des Rechtsextremismus in Sachsen, von dem man doch dachte, man hätte es vor mehr als anderthalb Jahrzehnten abgeräumt.
Da sind sie wieder, die Zustände der Neunziger Jahre – teilweise sogar mit den gleichen Personen.
Ich führe das alles nicht auf, um grundsätzlich zu irgendwelchen härteren Maßnahmen zu raten. Wir sind uns hoffentlich einig, dass Verbote in einem Rechtsstaat die Ausnahme bleiben sollen. Das Problem ist vielmehr der falsch gewählte Fokus und die einseitige Schwerpunktsetzung. Wann immer die Sprache in den vergangenen Jahren auf die extreme Rechte in Sachsen kam – und das geschah sehr, sehr oft – konnte die Staatsregierung auf das große „Vorzeigeprojekt“ verweisen: das NPD-Verbotsverfahren.
Ich wünschte, dass auch nur annähernd so viel Akribie und Aufmerksamkeit, wie in dieses Verfahren gesteckt wurde, der Präventionsarbeit, der politischen Bildung und der Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt zugute gekommen wäre. Ich wünschte, dass es gelungen wäre, annähernd so viel Energie in die fortwährende Analyse des Problems zu setzen. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist in dieser Hinsicht leider ein Totalausfall, trotz aller großen Versprechungen, die seit Ende 2011 – wir wissen ja, warum! – gemacht wurden.
Nehmen Sie die sogenannte „Identitäre Bewegung“: Da wurde vier Jahre lang geprüft, ob man sich überhaupt zuständig fühlt, und schließlich die Beobachtung aufgenommen. Das klingt ganz schwerwiegend, bedeutet in Wirklichkeit aber gar nichts. Auf unsere Große Anfrage konnte zu den „Identitären“ lediglich mitgeteilt werden, in welchen Regionen ihre Ortsgruppen aktiv sind. Mit Verlaub: Das steht offen im Internet. Das nachzulesen und aufzuschreiben ist kein Beitrag zum Schutz der Verfassung. Für so etwas brauchen wir keinen Geheimdienst.
Noch gravierender ist es im Falle der „Reichsbürger“: Dazu wurde schlicht gar nichts mitgeteilt. Nur gut, dass ich auch Kleine Anfragen stelle: so kam dieser Tage die Antwort auf die Frage nach Aktivitäten sogenannter „Reichsbürger“ in Sachsen 2016: 254 Straftaten wurden 2016 von sogenannten „Reichsbürgern“ verübt – Körperverletzung, Brandstiftung, Diebstahl, Hausfriedensbruch, … sexueller Mißbrauch von Kindern – die Liste ist lang – lesen Sie selbst nach – Drucksachennummer 6/7865. Es gibt noch mehr solcher blinden Flecke – ich denke zum Beispiel an die erhebliche Schnittmenge von Neonazi- und Hooliganszene. Dabei ist es in Wirklichkeit ganz leicht nachzuvollziehen, wo zum Beispiel die Anhängerschaft einer mutmaßlichen kriminellen Vereinigung wie der „Freien Kameradschaft Dresden“ herkommt.
An solchen vermeintlich neuen Entwicklungen ist überhaupt nichts neu, sondern das ist seit Jahren bekannt – in der Wissenschaft, in der Zivilgesellschaft, in den Medien. Einigermaßen neu ist lediglich die äußerst einfältige Idee, einen Teil des Problems aus dem eigenen Gesichtsfeld zu verbannen, indem man in der Neuländer Straße den Begriff „Asylkritik“ erfand. Die Tatsachen, die wir buchstäblich auf der Straße sehen können, führen diese Differenzierung genauso ad absurdum wie die Unterscheidung in eine „subkulturelle“ und eine „neo-nationalsozialistische“ Szene. Wir haben es – noch einmal! – mit Netzwerken zu tun. Es geht arbeitsteilig vor und es ist gewalterprobt.
Meine Damen und Herren, wir müssen auf diese Entwicklungen nicht starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Und wir können nicht hoffen, dass sich die Schlange, wie bei der NPD, am Ende nur als ein fetter Regenwurm entpuppt. Das Problem, von dem wir reden, ist größer, als es die NPD je war. Das Problem ist in Sachsen chronisch und akut zugleich. Wir hören aktuell viel von „Gefährdern“. Als wir bereits vor einem Jahr die Staatsregierung fragten, inwieweit im Zuge der sogenannten „asylfeindlichen“ Mobilisierungen auch Gefährder-Ansprachen genutzt werden, erhielten wir zur Antwort: gar nicht!
Wir haben erst neulich gehört, dass es für „Reichsbürger“ schwerer werden soll, legal an Waffen zu gelangen. Wir wissen aber, was das konkret heißt: Seit 2011 überprüfte das Landesamt für Verfassungsschutz 100 amtsbekannte Rechtsextremisten, die waffenrechtliche Erlaubnisse besitzen oder erlangen wollen. Erfolgreich und endgültig gestrichen wurden diese Erlaubnisse am Ende in genau drei Fällen.
Wir lesen immer wieder von den steigenden Aufklärungsquoten, die das „Operative Abwehrzentrum“ erzielt. Ich zweifle nicht am Nutzen des OAZ, ganz im Gegenteil. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass dadurch der Verfolgungsdruck nicht wesentlich steigt. Denn es gibt Landkreise gibt, in denen über viele Jahre hinweg besonders wenige rechtsmotivierte Taten aufgeklärt werden. Dazu gehören die Landkreise Leipzig, Nordsachsen und Bautzen.
Aber das wird nun wahrscheinlich demnächst nicht auf der Agenda des Innenministeriums stehen. Leider. Seit gestern wissen wir, dass das OAZ umgewandelt werden soll zum Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum, kurz PTAZ. Herr Minister Ulbig, 2012 – vor fünf Jahren wurde das OAZ als Reaktion auf die Verbrechen des neonazistischen Terrornetzwerkes, welches sich selbst den Namen NSU gegeben hatte, öffentlichkeitswirksam für den Kampf gegen Rechtsextremismus ins Leben gerufen. Es war dann auch für andere Phänomenbereiche – Links- und Ausländerextremismus zuständig.
Der Personalbestand blieb über Jahre relativ konstant, obwohl wir im Bereich PMK-rechts seit 2015 den anfangs geschilderten Anstieg von Straftaten verzeichnen müssen. Da gab es keine personelle Verstärkung! Jetzt soll es neues Personal geben – woher ist jetzt nicht das Thema – und es gibt einen Aufgabenaufwuchs. Das Thema NSU ist noch nicht erledigt! Das muss man zur Kenntnis nehmen! Aber immer wieder neue Strukturen und neue Namen: das sind keine Lösungen – das ist Symbolpolitik.
Meine Damen und Herren! Was wir jetzt von der Staatsregierung erwarten können, sind nicht bloß symbolische Einzelmaßnahmen, sind nicht bloß Nachbesserungen. Sondern was wir brauchen, ist endlich und unverzüglich ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten. Das braune Problem, von dem wir in Sachsen reden, vergeht nicht mehr von allein!
Wie immer gilt das gesprochene Wort. Eine Aufzeichnung der Rede wird demnächst hier abrufbar sein.