Trübes aus der Truppe

Seit zehn Jahren frage ich die Landesregierung nach rechtsmotivierten Straftaten, die in Sachsen durch Bundeswehr-Angehörige begangen werden. Ältere Daten der LINKE-Fraktion reichen sogar bis Anfang der 1990er Jahre zurück. Sie zeigen: Offenbar rechtsgesinnte Soldaten haben im Freistaat schwere Straftaten bis hin zu Brandanschlägen begangen.

 

Das sagen die Zahlen

 

  • Seit 1991 wurden in Sachsen 134 rechtsmotivierte Straftaten bekannt, bei denen 169 Verdächtige ermittelt wurden, die zum Tatzeitpunkt Bundeswehr-Angehörige waren. Die tatsächliche Zahl ist mutmaßlich deutlich höher, denn für die Jahre 1999 bis einschließlich 2006 liegen schlicht keine Daten vor.
  • Die absoluten Fallzahlen gehen zurück. Im Zeitraum 1991 bis 1998 war das jährliche Aufkommen auf bis zu 28 Fälle gestiegen. Im Zeitraum ab 2007 lagen die gemeldeten Zahlen deutlich niedriger. In mehreren Jahren, zuletzt 2015 und 2016, fielen offenbar gar keine Taten mehr an. Jedoch sind spätere Nachmeldungen möglich und üblich.
  • Auch die „Qualität“ der Taten hat sich geändert. In neuerer Zeit handelt es sich durchgehend um Propagandadelikte, hier insbesondere das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (typischerweise NS-Symbolik aller Art) sowie Volksverhetzung.
  • In den 1990er Jahren war es härter zur Sache gegangen: Landfriedensbrüche und Körperverletzungen standen im Vordergrund. Offenbar waren Bundeswehr-Angehörige in Sachsen an mindestens vier Brandanschlägen beteiligt. Zwei Landfriedensbrüche in Hoyerswerda im September 1991 fallen in die Zeit der dortigen pogromartigen Ausschreitungen. Registriert wurden außerdem zwei Verstöße gegen das Waffen- bzw. das Kriegswaffenkontrollgesetz.

 

Was heißt das?

 

Zunächst gilt wie bei jeder Statistik: Zurückhaltung. Etliche Details zu den jeweiligen Taten können nicht näher oder nur ausnahmsweise nachvollzogen werden, so zum Beispiel der Dienststandort der Verdächtigen, der Ausgang der Ermittlungen sowie die Gründe für Verfahrenseinstellungen. Das dahingestellt, lässt sich sagen: Auf lange Sicht deutet sich eine Entspannung an.

Für die Entwicklung der Fallzahlen kommen aber viele Faktoren in Betracht: Die Truppe schrumpft, Standorte wurden ausgedünnt, die Wehrpflicht ist seit 2011 ausgesetzt, danach ist das Aufkommen nochmals gesunken. Auch die Erhebung der Straftaten hat sich zwischendrin verändert, die heute bundeseinheitlich verwendete Statistik („Politisch-motivierte Kriminalität“, PMK) gab es in den Neunzigern noch nicht.

Ganz im Dunkeln liegen Kenntnisse über das Anzeigeverhalten bei Vorfällen innerhalb der Truppe. So mag es sein, dass Vorfälle als Disziplinarverfahren vor Truppendienstgerichte gebracht werden, ohne dass sie „zivilen“ Strafverfolgungsbehörden unbedingt bekannt werden; das ist ein Teil des Problems. Was bekannt wird, findet überwiegend außerhalb der Kasernen statt.

Gezählt werden hier zudem nur Fälle, in denen überhaupt Tatverdächtige bekannt wurden und die damit im polizeilichen Sinn als „aufgeklärt“ gelten. Für die Mehrzahl rechtsmotivierter Straftaten in Sachsen ist das aber nicht der Fall, die Aufklärungsquote bei rechtsmotivierten Delikten lag in den vergangenen Jahren in Sachsen bei knapp 40 Prozent. Was wir kennen, ist nur das sogenannte Hellfeld, also die buchstäbliche Spitze des Eisberges. Über die Verbreitung von Ideologien der extremen Rechten kann von dort aus sowieso wenig gesagt werden.

Die künftige Entwicklung muss jetzt genau beobachtet werden. Denn die Aussetzung der Wehrpflicht wird zwar auf längere Sicht dazu beitragen, dass sich die Gesellschaft vom Prinzip von Befehl und Gehorsam weiter entwöhnt. Umgekehrt könnte der Anteil von Bundeswehr-Angehörigen weiter zunehmen, die sich ganz bewusst mit autoritären Strukturen, mit Uniformen, Männerbündelei und einigem militaristischem Ballast in der fragwürdigen Traditionslinie deutscher Armeen identifizieren. Womöglich sind Franco A. und Kameraden nur ein Vorzeichen dieser Entwicklung.

 

Alles nicht neu!

 

Über die jüngsten Entwicklungen im Fall Franco A. muss man entsetzt, darf aber nicht überrascht sein. Heute fast vergessen ist der Ende 1997, also vor knapp 20 Jahren bekannt gewordene Skandal über braune Umtriebe in der Truppe, auch in Sachsen. Ausgangspunkt war ein Anfang 1995 von Angehörigen des Akademiestabes der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg gehaltener Vortrag. Der Referent: Manfred Roeder, ein ehemaliger Rechtsterrorist. Das Zutrauen ging weit, zuvor hatte Roeder ausrangierte Bundeswehr-Fahrzeuge erwerben können.

Die Vorgänge wurden Stoff für einen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Die Abgeordneten befassten sich dabei auch mit Vorfällen in Sachsen, darunter privat gefertigten Videos, die am damaligen Standort Schneeberg entstanden waren, „Kühnen-Grüße“ inklusive. „Es wurden grausame, menschenverachtende Gewalthandlungen nachgestellt und schwerwiegende Verbrechen, wie Tötungen, Körperverletzungen und Verbrennungen simuliert. Einige Szenen sind mit rechtsradikaler Musik unterlegt“, hieß es im Abschlussbericht.

Die Aufnahmen waren unter Mitwirkung von 19 Soldaten entstanden, darunter zwei Offiziere und sechs Unteroffiziere. Für Sachsen kam verschärfend und beschämend hinzu, dass am 8. August 1997 zwei grundwehrdienstleistende Soldaten einen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Dresden begingen. Im Hinblick auf die Zahl rechtsmotivierter Straftaten, die in Sachsen unter Beteiligung von Bundeswehrangehörigen begangen wurden, war 1997 mit 28 Fällen und 35 Tatverdächtigen ein Rekordjahr.

Es ist übrigens das einzige Jahr, für das die sächsische Regierung auch auf Nachfrage keine konkreten Fälle benennen wollte.

 

Die Fallstatistik

 

Anmerkungen:

  • Zu Feldern, die mit einem Sternchen (*) ausgefüllt sind, wurden bei der Beantwortung durch die Landesregierung keine Angaben übermittelt. Für die Jahre 1999 bis einschließlich 2006 liegen keine Daten vor. Für das Jahr 1997 wurde eine Fallzahl genannt (28 Delikte mit 35 Verdächtigen), aber – trotz ausdrücklicher Nachfragen – keine Aufschlüsselung nach einzelnen Taten. Sie konnten daher auch nicht in die Tabelle einfließen.
  • Ausgewertet wurden im Übrigen alle themenbezogene Kleine Anfragen, die im Sächsischen Landtag gestellt wurden und sich zumeist auf Vorkommnisse in einzelnen Jahren beziehen. Recherchiert werden muss das Material per Hand, eine Volltextsuche bietet die Parlamentsdokumentation EDAS nicht. Anhand der Drucksachen-Nummer kann aber gezielt nachgeschlagen werden: 6/7857, 6/7853, 6/3747, 6/3746, 6/591, 6/590, 5/13483 , 5/13469, 5/10970, 5/7855, 5/4594, 5/906, 4/14299, 4/10805, 2/10483, 2/9162, 2/8035, 2/6595, 2/6594, 2/6593, 2/6560, 2/6559, 2/6058.
Comments are closed.
read next

L-IZ, 17.05.2017: Ist der Waffenlieferant für das abgetauchte NSU-Trio gefunden?