Wie ich „Frau Ackermann“ wurde

Selten schlägt eine wissenschaftliche Untersuchung ein wie die Studie „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Warum?

 
Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, hatte die Studie beim Göttinger Institut für Demokratieforschung in Auftrag gegeben mit dem Ziel, „mögliche Ursachen aufzudecken und offenzulegen, um so zu verstehen, was in Ostdeutschland geschieht, und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.“ Unter den InterviewpartnerInnen, die für die Studie befragt wurden und darin zitiert werden, bin auch ich. Allerdings tauche ich dort nicht unter meinem richtigen Namen auf, sondern als „Frau Ackermann“.

Dieser bedeutungsarme Umstand ist wohl einer der schlechteren Gründe, warum jetzt viel über die Studie geredet wird: Es seien „sogar Gesprächspartner erfunden“ worden, titelte etwa ein Beitrag der Welt. Er fährt fort, eine „interne Recherche der Linkspartei“ habe ergeben, „dass sich hinter ‚Frau Ackermann’ Kerstin Köditz verbirgt“.

So lüftet man Geheimnisse, die keine sind. Was mich betrifft, wurde in der Studie überhaupt nichts „erfunden“. Das Interview wurde im August vergangenen Jahres geführt, es lief selbstverständlich unter meinem Klarnamen ab. Wer mich kennt, weiß doch: Ich stehe zu meinen Positionen, auch öffentlich. Die Frage einer möglichen Anonymisierung wurde nicht an mich herangetragen, bemerkt habe ich den Namenstausch – in einer Fußnote wird auf die Pseudonymisierung hingewiesen – erst nach Veröffentlichung der Studie.

Um „Frau Ackermann“ nachher zuzuordnen, bedurfte es keiner „internen Recherche“, sondern wer immer es wissen wollte, konnte es sofort erfahren. Wer nicht nur über die Studie redet, sondern sie zuvor auch gelesen hat, wird bemerkt haben, dass ich im Literaturverzeichnis mit meinem echten Namen auftauche. Ich habe mich, kurzum, nicht „verborgen“ und auch nicht verbergen wollen. Es lügt, wer etwas anderes behauptet.

In der Zwischenzeit habe ich mit einem Mitautor der Studie geredet. Er hat sich bei mir entschuldigt und erklärt, dass es aufgrund des Zeitdrucks nicht gelungen sei, hinsichtlich der Namensnennung rechtzeitig eine Freigabe aller InterviewpartnerInnen einzuholen. Fehler passieren. Der Fehler, um den es hier geht, ist ärgerlich, ändert aber nach meiner Einschätzung überhaupt nichts an den Inhalten und der Aussagekraft der Studie. Er ändert aber etwas an der Rezeption. Denn um Inhalt und Aussagekraft der Studie – auch ich stimme nicht in jedem Punkt zu – wird derzeit gar nicht geredet.

Freilich stehen weitere Vorwürfe gegen die AutorInnen im Raum. Sie haben prompt die Unterstellung zurückgewiesen, es seien GesprächspartnerInnen rundweg „erfunden“ worden. Diejenigen, die das behauptet haben, waren bisher nicht willens oder in der Lage, ihren Vorwurf zu belegen. Diejenigen sind, mit anderen Worten, nicht eben prädestiniert dafür, den Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit zu erheben.

Das zeigt sich auch im Falle des „Herrn Reese“, einem Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung, der in der Studie auf eigenen Wunsch hin nicht unter seinem richtigen Namen genannt werden will. Ihm werden in der Berichterstattung – wohl um den unbelegten Vorwurf, er existiere gar nicht, noch triftiger zu machen – sogar abwegige Äußerungen über Monarchie und Mauer zugeschrieben, die er sich in Wirklichkeit nicht zueigen gemacht hat.

An dieser Stelle sind die Vorwürfe nicht mehr nur falsch, sondern werden bösartig. Halten wir einmal fest: Es gibt gute Gründe, Menschen nicht mit Klarnamen zu benennen. Die Bedrohungslage in Orten wie Freital und Heidenau, die zu den Untersuchungsgebieten der Studie zählen, ist höchst real und deshalb ein Anlass der Untersuchung. Die Anonymisierung von GesprächspartnerInnen ist ein gängiges Mittel in der Wissenschaft und übrigens auch solcher Medien, in denen man davon jetzt zum ersten Mal gehört haben will.

Für die politische Kommentierung ist das Absehen vom Inhalt der Studie nur der Startschuss, frei zu assoziieren. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz bemängelt, in der Studie werde „Linksextremismus“ ausgespart und zuunrecht „ein Urteil für ganz Ostdeutschland gefällt“. Um zu erkennen, dass das erste nicht Thema der Studie war, hätte es genügt, ihren Titel zu kennen. Das zweite, ein „Urteil für ganz Ostdeutschland“, ist auf den 236 Seiten beim besten Willen nicht zu finden; tatsächlich verwahren sich die AutorInnen gegen falsche Generalisierungen. In der Studie heißt es etwa: „Rechtsextremismus ist nicht ausschließlich ein Ost-West-Problem, sondern auch ein Zentrum-Peripherie-Problem, das befördert werden kann durch spezifisch regionale Faktoren“. Von diesen Faktoren handelt die Studie.

Die schärfste Fehlleistung bei der Lektüre, die ich an dieser Stelle so gutwillig wie unbegründet voraussetze, leistete sich indes der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer. Auf Twitter ließ er wissen, „das ganze“ – das ist die Studie – sei „von vorn bis hinten unseriös“. Die Studie, muss man wissen, stützt sich unter anderem ausführlich auf die Ergebnisse des „Sachsen-Monitors“. Auftraggeber dafür war aber niemand anderes Sachsens Landesregierung, bekanntlich angeführt von der Partei Kretschmers.

Wo man so rücksichtslos gegen sich selbst ist, um gleich alles als „unseriös“ wegwischen zu können, bestätigt sich indes ein Befund der Studie: Wer die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten sucht, mithin auch nur thematisiert, gilt hierzulande schon als Nestbeschmutzer, als Störfaktor im „Dorffrieden“. Es spricht nicht gegen, sondern für eine kritische Sozialwissenschaft, dass sie streitbar ist und das Problem benennt. Wer mitstreiten will, sollte jetzt zur Sache kommen: zu den Inhalten.

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