Nach dem Höchststand beim Aufkommen rechter Straftaten im vergangenen Jahr ist die Fallzahl seit Anfang 2017 leicht rückläufig. Eine „Entspannung“ ist das nicht.
Fallzahlen rückläufig, aber weiter hoch
Das Aufkommen rechtsmotivierter Straftaten im Freistaat Sachsen ist im ersten Quartal 2017 leicht zurückgegangen. Das zeigt eine Auswertung anhand vorläufiger Daten, die ich monatlich beim Innenministerium abfrage. Demnach wurden von Januar bis März insgesamt 415 Delikte mit rechtem Hintergrund bekannt – das sind 4,6 Fälle pro Tag.
Zum Vergleich: Im „Rekordjahr“ 2016, als besonders viele Taten registriert wurden, lag der Wert mit rund 6,5 Fällen pro Tag noch etwas höher. Bereits ab dem Jahr 2015 war die Fallzahl in Sachsen sprunghaft angestiegen. Auf längere Sicht betrachtet sind auch die aktuellsten Werte überdurchschnittlich und liegen über dem Aufkommen in den Jahren vor 2015.
Von einer Trendwende in der eskalativen Situation, die wir seit rund zwei Jahren im Freistaat erleben, kann daher noch keine Rede sein.
Mehr Propaganda und kein Ende der Gewalt
Unter den aktuellen Fällen sind 15 Körperverletzungen. Dabei wurden mindestens 14 Personen verletzt, eine davon schwer. Die Betroffenen sind überwiegend MigrantInnen. Außerdem wurden in Chemnitz, Wurzen und Leipzig drei Brandanschläge begangen.
Die Verteilung der Deliktarten folgt im Übrigen weitgehend dem langjährigen Muster. Am häufigsten werden sogenannte Propagandadelikte (Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzungen) verzeichnet, sie machen aktuell 78 Prozent aller Fälle aus (Schnitt 2011 bis 2016: 74 Prozent). Die moderate Steigerung kann vor allem auf eine größere Bedeutung des Internets bzw. eine höhere Sensibilisierung für „Hasspostings“ und ein dadurch verändertes Anzeigeverhalten zurückgeführt werden.
Am zweithäufigsten sind Sachbeschädigungen, die acht Prozent (langjährig: neun Prozent) des Fallaufkommens ausmachen, gefolgt von Körperverletzungen, deren Anteil von langjährig fünf Prozent auf nunmehr drei Prozent gefallen ist. Zu beachten ist allerdings, dass die bloße Fallzahl nichts über die „Qualität“ der Taten aussagt. So beobachten Opferberatungsstellen eine wachsende Brutalität bei der Tatbegehung, unabhängig von der Zahl körperlicher Anrgriffe.
Chemnitz und Landkreis Leipzig als neue Hotspots
Bei der Entwicklung des Fallaufkommens und der Deliktarten dürfte aktuell insbesondere die rückläufige Zahl demonstrativer Ereignisse – namentlich sogenannter Anti-Asyl-Proteste – ins Gewicht fallen, die verstärkt Schauplätze konfrontativer Gewalt geworden waren. Dieser Umstand hatte sich ab 2015 besonders deutlich in drei „Hot Spots“ niedergeschlagen: in den Städten Dresden und Leipzig sowie im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.
Die neuesten Zahlen zeichnen nunmehr ein drastisch verändertes Bild der aktuellen Hochburgen. Nach den absoluten Fallzahlen betrachtet ist die Stadt Chemnitz (60 Fälle) mit einem deutlichen Vorsprung aus dem „Mittelfeld“ an die Spitze aufgestiegen. Es folgen die Stadt Dresden und gleichauf der bislang weniger auffällige Landkreis Leipzig (je 42 Fälle).
Besonders ins Auge sticht bei diesem Zwischenstand, dass sich in Chemnitz der Anteil am sachsenweiten Gesamtfallaufkommen in den vergangenen drei Jahren ungefähr verdoppelt und im Landkreis Leipzig – wo die Aufklärungsquote sogleich ausgesprochen niedrig ist – sogar besonders sprunghaft fast verdreifacht hat.
Im weiterhin überdurchschnittlich fallbelasteten Dresden ist die Entwicklung dagegen rückläufig. Noch deutlicher fällt der Rückgang im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aus – zuletzt war das eine der Regionen mit der höchsten (Gewalt-)Dynamik; davon ist in der aktuellen Statistik nichts mehr zu sehen. Ein sachsenweiter „Gesamttrend“ ist aber nicht auszumachen: Von Region zu Region fällt die Entwicklung unterschiedlich und ungleichzeitig aus.
Die Falldatenbank
Die Daten wurden aus Papiervorlagen digitalisiert. Dadurch sind Schreibfehler entstanden, die nicht sämtlich redigiert werden konnten. Um Nachsicht wird gebeten.
Hintergrund und Datengrundlage
Mittels Kleiner Anfragen erkundige ich mich regelmäßig bei der Staatsregierung nach Straftaten aus dem Bereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) rechts, die im Freistaat Sachsen begangen bzw. der Polizei bekannt wurden. Es handelt sich dabei um eine Eingangsstatistik, die den Ausgang von Ermittlungsverfahren in der Regel nicht berücksichtigt.
Die Werte sind „Momentaufnahmen“ zum Zeitpunkt der Abfrage und auch deshalb vorläufig, weil sie sich durch Nachmeldungen – Fälle, die erst später zur Anzeige gebracht oder erst im Laufe der Ermittlungen zugeordnet werden konnten – erfahrungsgemäß noch deutlich erhöhen werden.
In die hiesige Auswertung des ersten Quartals einbezogen wurden Antworten des Innenministeriums zu meinen Anfragen zum Januar (Drs. 6/8341), Februar (Drs. 6/8706) und März 2017 (Drs. 6/9140) sowie Nachmeldungen für diese Monate (94 Fälle), die im April 2017 (Drs. 6/9480) benannt wurden. Berücksichtigt wurden nur Fälle, bei denen auch die Tatzeit im ersten Quartal liegt. Die Vergleichsdaten entstammen der Großen Anfrage „Extreme Rechte in Sachsen“ (Drs. 6/6532), die den Zeitraum der Jahre 2011 bis einschließlich das erste Halbjahr 2016 umfasst.