Gedenken an Luxemburg und Liebknecht

Gemeinsam mit meinem Kollegen aus der Linksfraktion Sachsen, Franz Sodann, und weiteren GenossInnen und FreundInnen habe ich heute am Gedenkstein in Lindhardt der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts gedacht. Dazu hielt ich nachfolgende Rede:

 

„Liebe Genossinnen und Genossen!

Das bis 2012 existierende Militärgeschichtliche Forschungsamt in Freiburg war sicherlich nicht als Hort der Fortschrittlichkeit geplant. Es handelte sich schließlich um eine Einrichtung der Bundeswehr. Und wenn Militär seine eigene Geschichte schreibt, dann ist in der Regel nicht zu erwarten, dass eine grundsätzlich kritische Vorgehensweise oberstes Gebot ist.

Als die Einrichtung unter dem Namen Militärgeschichtliche Forschungsstelle im Oktober 1958 gegründet wurde, wurde folgerichtig die Leitung einer Person übertragen, die selbst die Tradition verkörperte, in der die Bundeswehr und das Institut stehen sollten. Zum Amtschef wurde Oberst Hans Meier-Welcker berufen, der im Zweiten Weltkrieg zuletzt als Generalstabschef eines Armeekorps gedient hatte. Und als dem Amtschef 1968 erstmals ein Leitender Historiker zur Seite gestellt wurde, machte man mit Andreas Hillgruber einen Rechtsaußen der Zunft dazu.

Bei Hillgruber, in den Worten der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, handelte es sich um „einen renommierten, durchaus konservativen Historiker im klassischen Sinne, dessen Lebenswerk erst im Zuge des Historikerstreits auf unrühmliche Weise beschädigt wurde“. Weniger verklausuliert ausgedrückt stand Hillgruber auf der Seite von Ernst Nolte und dessen These, die Nazis seien lediglich eine Reaktion auf den Bolschewismus gewesen.

Es mag auch teilweise der Revolte von 1968 geschuldet sein, dass diese reaktionäre Linie der Geschichtsschreibung unter der neuen Leitung von Manfred Messerschmidt durchbrochen wurde. Messerschmidt wurde umgehend von den Rechtskräften als „Kopf der sogenannten ‚Roten Zelle'“ im MGFA diffamiert, seine Arbeit – ich zitiere erneut die „Junge Freiheit“ – als „einseitig auf die deutsche Schuld fokussierte Darstellung der jüngeren Vergangenheit“ abgetan, als eine „im Gewande der Sozialgeschichte daherkommende moralisierende Vergangenheitsbewältigung“.

Auch wenn dieser an den Realitäten orientierte Kurs des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes im Zuge der „Wende“ umgehend wieder rückgängig gemacht wurde, bleiben von ihm doch wichtige Studien beispielsweise über den Vernichtungskrieg der Nazi-Wehrmacht im Osten oder der unter seiner Ägide entstandene Band über den deutschen Überfall auf die Sowjetunion, der berechtigt noch heute als Standardwerk gilt.

Dieses Buch hatte damals Wolfram Wette mit herausgegeben, ebenfalls Historiker am MGFA, ebenfalls von den Rechten im Lande als Mitglied der „Roten Zelle“ dort diffamiert, selbst ehemaliger Offizier der Bundeswehr. Vor rund zwei Wochen antwortete er im Interview auf die Frage, welche Erfahrungen er denn bei den politischen Einstellungen von Offizieren bei der Bundeswehr gemacht habe: „Ich habe viele Milieukenntnisse sammeln können. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir sitzen in einer Runde aus Wissenschaftlern und Offizieren zusammen. Ich erzähle, dass ich gerade an einer Biografie über Gustav Noske arbeite und mich mit der Frage auseinandersetze, wer unter welchen Umständen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 1919 ermordet hat. Dann sagt ein Oberstleutnant: Sie sprechen von politischem Mord? Das war doch nichts weiter als die Beseitigung von Umweltverschmutzung. Die Runde ging dann auseinander.“

Die Runde ging dann auseinander. Keine Reaktion, bei niemandem. Ist das typisch, war das typisch? Wolfram Wette dazu: „Als Zivilist muss man sich bewusst machen, dass im militärischen Milieu alles ein Stück weit nach rechts versetzt ist. Was im Militär als konservativ angesehen wird, ist aus Sicht der Zivilgesellschaft rechtsradikal. Wenn man das begriffen hat, kann man manche Vorgänge in der Bundeswehr besser verstehen.“

Wette weiß durchaus, wovon er spricht. Als Mitbegründer des Arbeitskreises Historische Friedensforschung, als Beiratsmitglied des kritischen „Darmstädter Signals“ und als Mitglied der SPD ist er so etwas wie ein „Weißer Rabe“. In seiner eigenen Biografie hat er erlebt, was es bedeutet, in diesem Bundeswehrumfeld als „Nestbeschmutzer“ aufzutreten oder auch nur eine abweichende Meinung zu vertreten. Als Wette in den achtziger Jahren, also nach dem Amtsantritt von Messerschmidt, die erwähnte Biografie über Gustav Noske veröffentlichen wollte, schritt der Beirat des Institutes ein.

Dieser bestand aus Generalleutnat a.D. Graf Kielmannsegg, der schon in den zwanziger Jahren in die Reichswehr eingetreten war und in der NS-Zeit im Oberkommando der Wehrmacht tätig war. Seine kurzzeitige Verhaftung im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 machte es wohl möglich, dass er in die Vorbereitung der Gründung der Bundeswehr einbezogen war und zuletzt hohe Posten innerhalb der NATO bekleidete.

Neben ihm saßen drei konservative, um nicht zu sagen reaktionäre Historiker in diesem Beirat. Gemeinsam kamen sie zu dem Schluss, dass Wettes Arbeit „nicht druckreif“ sei und nicht durch das MGFA unterstützt werden sollte. Noske werde lediglich kritisiert und abqualifiziert. Wettes Urteil über Noske laute nicht wesentlich anders als seinerzeit bei der KPD. Das Manuskript sei umfassend umzuarbeiten. Der Band erschien nach heftigen Kontroversen trotzdem und gilt noch heute als Standardwerk über jenen Sozialdemokraten, der von sich selbst sagte: „Einer muss den Bluthund machen.“ Wette verließ das MGFA nach dem politisch-wissenschaftlichen Rollback nach der Wende.

Es sollte uns aufhorchen lassen, wenn jemand wie Wette heute anlässlich eines aktuellen Falles urteilt: „In der Bundeswehr existiert ein strukturelles Problem mit rechtem Gedankengut – die Pläne von Franco A. erinnern an die Freikorps-Offiziere der Weimarer Republik.“ Der Bundeswehr-Offizier Franco A., so die Bundesanwaltschaft, sei „hinreichend verdächtig, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben“. Er habe „aus einer völkisch-nationalistischen Gesinnung heraus zu einem unbekannten Zeitpunkt einen Anschlag auf das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, die sich für ihr aus Sicht des Angeschuldigten flüchtlingsfreundliches Engagement besonders auszeichnen“, geplant.

Den Ermittlungen zufolge wollte der Angeschuldigte bei einem Anschlag den Verdacht auf Flüchtlinge lenken; er hatte sich deshalb unter falscher Identität selbst als Asylsuchender aus Syrien registrieren lassen.“ Und, so muss hinzugefügt werden, an diesen Plänen waren weitere Bundeswehroffiziere beteiligt.

Das ist schlimm. Sehr schlimm. Noch schlimmer jedoch ist es, dass dieses Gedankengut der rechtsradikalen Freikorpskämpfer aus den frühen Jahren der Weimarer Republik, die später durchweg bei der NSDAP und der SS untergekommen sind, kein Einzelfall in der Bundeswehr ist. Wenn aber dieses Gedankengut auch Jahrzehnte nach Wettes Erlebnis, bei dem der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Offizieren als „Beseitigung von Umweltverschmutzung“ bezeichnet wurde, wenn diese Freikorpsmentalität, noch heute in der Bundeswehr verbreitet ist, dann handelt es sich um ein strukturelles Problem, das die Bundeswehr auch zur Gefahr für den inneren Frieden werden lässt.

Ich will nur ein einziges weiteres Beispiel nennen. 2007 hatte ein Bundeswehrpilot aus Gewissensgründen seine Beteiligung am Tornado-Einsatz im Süden Afghanistans, den er für völkerrechtswidrig hielt, verweigert.

Als Reaktion gab es zum Beispiel eine Mail eines „Kameraden“, eines Elitesoldaten, der schrieb: „Ich beurteile Sie als Feind im Innern und werde mein Handeln danach ausrichten, diesen Feind im Schwerpunkt zu zerschlagen.“ Und weiter: „Sie werden beobachtet, nein, nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht.“ Das ist heute das gleiche Denken wie das der Mörder von Liebknecht und Luxemburg vor nunmehr fast 100 Jahren. Eine Prüfung der Bundesregierung ergab – welch Überraschung! – „keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen rechtsextremistischer Bestrebungen“. Der fragliche Soldat wurde nicht bestraft.

Gerade in Zeiten, in denen die Bundeswehr bereits heute in Dutzenden von Ländern
an militärischen Konflikten beteiligt ist, in denen Kriegsdrohungen zum politischen Tagesgeschäft gehören und die Gefahr der Eskalation hin zu einem neuen Weltkrieg nicht von der Hand zu weisen ist, wird der Blick zurück in die Geschichte geradezu zur Pflicht, wenn man verantwortungsbewusst handeln will. Was zeigt uns dieser Blick zurück? Wenn die rechtsradikalen Freikorpsoffiziere vom „jüdischen Bolschewismus“ redeten, meinten sie in erster Linie prominente Kriegsgegner, Verständigungspolitiker – und Juden.

Der bayerische Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) wurde von einem Offizier ermordet, weil er ein Linker und ein Pazifist war. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden Opfer rechter Offiziere, weil sie vor und während des Weltkrieges als Kriegsgegner hervorgetreten waren. Matthias Erzberger (Zentrumspartei) musste sterben, weil er im Auftrag der Regierung den Waffenstillstand von Compiègne unterschrieben hatte, und sein Ministerkollege Walter Rathenau, weil er Jude war.

Die juristischen Folgen des rechten Mordterrors listete der jüdische, pazifistische Professor Emil Julius Gumbel in seinem Buch „Vier Jahre politischer Mord“ auf: „354 politische Morde von rechts; Gesamtsühne: 90 Jahre, 2 Monate Einsperrung, 730 Mark Geldstrafe und eine lebenslängliche Haft. 22 Morde von links; Gesamtsühne: 10 Erschießungen, 248 Jahre, neun Monate Einsperrung, drei lebenslängliche Zuchthausstrafen.“

Noch in der Weimarer Republik wurde Gumbel die Lehrbefugnis entzogen, 1933 wurden seine Schriften verbrannt, seine Staatsbürgerschaft wurde ihm entzogen. Er emigrierte zunächst nach Frankreich, später in die USA. Seine Bemühungen, in der Bundesrepublik als Hochschullehrer erneut eingestellt zu werden, blieben erfolglos. Als er am 10. September 1966 in New York starb, erschien in keiner einzigen Zeitung der Bundesrepublik ein Nachruf.

Es gibt viele Arten einen Menschen zu ermorden. Menschen wie er bleiben gefährlich. Für die Reaktionäre.“

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