Am kommenden Mittwoch diskutieren in Leipzig konservative Behördenspitzen und konservative Wissenschaftler über „verschiedene Formen von Extremismus“. Das ist dann wohl Pluralismus auf sächsische Art. Meine Einladung habe ich ausgeschlagen – das ist der Grund:
Zu den Aufgaben der traditionsreichen Sächsischen Akademie der Wissenschaften gehört es laut Selbstdarstellung, „Methoden und Ergebnisse der Spezialforschung im interdisziplinären Gespräch zu erörtern“. Betrachten wir das Programm dieser Einrichtung, so sehen wir allerdings, dass es in den meisten Fällen um die Vorstellung von Forschungsergebnissen einzelner Wissenschaftler geht. Noch seltener als das „interdisziplinäre Gespräch“ ist die Behandlung aktueller Themenstellungen.
Insofern handelt es sich um eine erfreuliche Ausnahme, wenn diese Institution für den 5. September zu einem Podiumsgespräch unter dem Titel „Politisch motivierte Gewalt – Extremismusformen in Deutschland“ einlädt.
Jedes weitere Wort des Lobes an dieser Stelle wäre eines zu viel. Statt Wissenschaft – so mein Eindruck – soll hier Agitation und Propaganda betrieben werden. Statt wissenschaftlichen Pluralismus werden Einseitigkeit und Ausrichtung an die sächsische Staatspartei betrieben. Ein interdisziplinäres Gespräch wäre zu dieser Thematik geboten. Stattdessen tummeln sich auf dem Podium ausschließlich Politikwissenschaftler und Vertreter staatlicher Organe, nämlich des Landeskriminalamtes und des Inhaltsgeheimdienstes.
Statt die unterschiedlichen Facetten des hier als „Extremismus“ umschriebenen Phänomens zu untersuchen, wird lediglich die politisch motivierte Gewalt in den Fokus gerückt. Anstatt das Problems von unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätzen in der Politikwissenschaft her zu durchleuchten, kommen ausschließlich Vertreter der sogenannten Totalitarismus- bzw. Extremismustheorie zu Wort.
Die politische Erwachsenenbildung, zu der auch die genannte Veranstaltung gerechnet werden kann, fühlt sich seit langen Jahren dem „Beutelsbacher Konsens“ als Grundlage verpflichtet. Zu den wichtigsten Prinzipien dieses Dokumentes zählen das Gebot der Kontroversität und – damit zusammenhängend – das Indoktrinationsverbot. Beide sehe ich bei dieser Veranstaltung in derart eklatanter Weise missachtet, dass sich die Akademie der Wissenschaften fragen lassen muss, ob sie zukünftig als Akademie für Agitation und Propaganda fungieren will.
Zu den Fakten: Es ist durchaus nachvollziehbar, dass eine sächsische Akademie vorwiegend auf in Sachsen tätige Wissenschaftler zurückgreift. Man mag es auch noch hinnehmen, dass zu den Eingeladenen der umstrittene Chemnitzer Emeritus Eckard Jesse gehört, der zu den führenden Verfechtern der Extremismus-„Theorie“ zählt.
Aber wo bleibt die geforderte wissenschaftliche Pluralität, wenn neben ihm auf dem Podium sein langjähriger Weggefährte Prof. Uwe Backes sitzt, stellvertretender Leiter des Hannah-Arendt-Institutes für Totalitarismusforschung (HAIT) und seit Jahrzehnten mit Jesse gemeinsam Herausgeber des Jahrbuches „Extremismus & Demokratie“, wenn dieses Podium ergänzt wird durch Frau Julia Gerlach von der Evangelischen Akademie Meißen, die bei Jesse promoviert hat, wenn es sich bei dem Diskussionsleiter um Jürgen P. Lang handelt, der ebenfalls bei Jesse seine Doktorarbeit geschrieben hat?
Wo bleibt der politische Pluralismus, wo bleibt die geforderte Kontroversität, wenn der zumindest CDU-nahe Jesse neben sich Prof. Heinrich Oberreuter findet, der nicht nur ehemaliger Leiter des HAIT ist, sondern auch strammes Mitglied der CSU, wenn der Mitdiskutant Gordian Meyer-Plath zwar Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz ist, seine CDU-Nähe aber nicht zuletzt durch seine Mitarbeitertätigkeit für eine CDU-Bundestagsabgeordnete unter Beweis gestellt hat? Das sind alle Podiumsteilnehmer. Ohne Ausnahme. Wissenschaftlich einseitig, politisch sehr einseitig.
Die einzige Ausnahme ist Petric Kleine, der Präsident des Landeskriminalamtes, der eine Impulsreferat liefern kann. Kleine ist bisher nicht als Experte zum Thema „politischer Extremismus“ in Erscheinung getreten, wird also wohl lediglich die Zahlen der polizeilichen Kriminalitätsstatistik liefern. Was wiederum die Steilvorlage für das Podium bietet, sich auf den Bereich der Gewalt zu konzentrieren. Rassismus wird kein Thema sein, auch Motivationen nicht.
Geht es nach Jesse & Co., kann man ruhig Arschbacken und Kuchenbacken miteinander vergleichen. Wenn etwas nicht in diesen wissenschaftlichen Ansatz passt, dann wird es passend gemacht. Da beim Extremismusbegriff die Trennschärfe fehlt, wurde von Jesse und seinen Anhängern zunächst der Kunstgriff angewendet, zwischen einem harten und einem weichen Extremismus zu unterscheiden. Inzwischen reicht auch das nicht mehr und im jüngsten Band des von Backes, Jesse sowie zweien seiner Schüler herausgegebenen Jahrbuch „Extremismus & Demokratie“ wird der Terminus des „Semi-Extremismus“ eingeführt.
Mein Fazit: Schon diese Zusammensetzung macht es geradezu unausweichlich, dass es tatsächlich vorwiegend lediglich um Erscheinungsformen und nicht deren Ursachen geht, dass die zivilgesellschaftliche Ebene und die Opferperspektive ausgeblendet bleiben und der fundamentale wissenschaftliche Ansatz weder hinterfragt noch alternativ besetzt wird. Nur nebenbei will ich noch erwähnen, dass ich die Konzentration auf Straftaten als kontraproduktiv für Gegenstrategien im diskutierten Bereich ansehe.
Ich werde also trotz Einladung nicht zu dieser Veranstaltung fahren. Inhaltlich ist nichts von ihr zu erwarten, politisch ist sie peinlich und ärgerlich. Eben ein Beispiel für die berühmte „sächsische Demokratie.“