Der heute offiziell übergebene thüringische Bericht ist ein bedeutsamer Beitrag zur weiteren Aufklärung im NSU-Komplex, auf der auch die Hinterbliebenen der rechtsterroristischen Mord- und Anschlagsserie zu Recht bestehen. In vielen Punkten bestätigt der neue Bericht, was wir im sächsischen Ausschuss herausgefunden und in unserem mehrbändigen Sondervotum (hier als PDF abrufbar) vor wenigen Monaten veröffentlich haben: Die vor allem auf Sachsen konzentrierte Fahndung nach den drei 1998 untergetauchten Neonazis Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe war demnach „ein einziges Desaster“. Das sogenannte Trio hätte andernfalls durchaus aufgefunden, die Mordserie verhindert werden können.
Nach thüringischer Lesart liegt eine „strukturelle Krise des Verfassungsschutzes“ vor – einfacher ausgedrückt: ein lang anhaltendes Totalversagen zuständiger Behörden. Ausdrücklich warnt der neue Bericht davor, dass Teile des NSU-Unterstützernetzwerks – auch in Sachsen – weiterhin aktiv sind, teils nicht einmal aufgedeckt wurden.
Besonders ausführlich rekonstruiert der Bericht die Ereignisse rund um den 4. November 2011 in Eisenach, also die Umstände der Selbstenttarnung des NSU. Die Ergebnisse lassen sich parallel lesen zu den Erkenntnissen, die wir in Bezug auf Zwickau erlangt haben.
An einigen Stellen greift der thüringische Bericht, der dort von einer Mehrheit mitgetragen wird, sogar wörtlich auf unser Sondervotum zurück. Das gilt auch für eine Reihe von Schlussfolgerungen, die aus dem NSU-Komplex zu ziehen sind. Dazu gehören beispielsweise eine fortwährende Prüfung offener Haftbefehle, die langfristige Aufbewahrung relevanter Unterlagen und die Aufbereitung der zum Rechtsterrorismus gewonnenen Kenntnisse als Bildungsthema.
Ein Unterschied besteht darin, dass im rot-rot-grün regierten Thüringen von einer Umsetzung dieser Forderungen auszugehen ist. Von der kommenden Kenia-Koalition in Sachsen ist dergleichen leider nicht zu erwarten.
Auch in Sachsen aufhorchen lassen dürften aber einige mit dem neuen Bericht bekannt gewordene Details. So liegen Hinweise vor, dass im Jahr 1998 – kurz nach dem Abtauchen des „Trios“ – ein aus Altenburg stammender Neonazi als Spitzel angeworben wurde. Der Mann lebt meines Wissens heute in Dresden und ist immer noch tief in der rechten Szene verankert.
Darüber hinaus hat der thüringische Ausschuss einen ehemals leitenden Aktivisten der sächsischen „Identitären“ aus Zwickau befragt. Dieser räumte ein, sich mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz getroffen zu haben.