In Gedenken an Patrick Thürmer

Vor zwanzig Jahren wurde Patrick Thürmer getötet. Drei Neonazis attackierten den Jugendlichen in der Nacht zum 2. Oktober 1999 in Oberlungwitz, auf halber Strecke zwischen Chemnitz und Zwickau. Vorher hatte es im benachbarten Hohenstein-Ernstthal Auseinandersetzungen gegeben: In einem Jugendclub fand ein Punkfestival statt, in einer Diskothek gegenüber sammelten sich Neonazis, die „Unterstützung“ aus der Türsteher- und Hooligan-Szene anforderten.

Darunter waren auch die Täter, drei bereits polizeibekannte Männer aus Zwickau und Umgebung, die knapp ein Jahr später am Landgericht Chemnitz verurteilt wurden. Michael O. und Thomas W. erhielten wegen gemeinschaftlichen Totschlags Freiheitsstrafen von elf bzw. acht Jahren Haft, Nico N. wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Nur zu einem der Täter hielt das Gericht im Urteil fest, dass es sich bei seinem Freundeskreis um eine politisch rechts eingestellte Gruppierung handelt.

Trotzdem ließ der festgestellte Tatablauf an den Hintergründen keine Zweifel: Den Verurteilten war es egal, wen genau sie angriffen. Es ging ihnen darum, „die Punker zu bestrafen“, und es kam ihnen dabei „nur darauf an, einen Punker zu misshandeln.“ Mit einem Auto fuhren sie umher, suchten nach einem Opfer. Sie fanden kurz nach 3 Uhr Patrick Thürmer, der auf dem Heimweg war, und schlugen brutal auf ihn ein. Die Schilderungen zum Tatablauf sind grausam, sie erinnern an Folter. Das Opfer wurde erst Stunden später gefunden, im Krankenhaus konnte nur noch der Tod festgestellt werden.

Die Ermittlungen der Polizei und der auf rechtsmotivierte Straftaten spezialisierten Soko „Rex“ des LKA Sachsen waren umfangreich und kompliziert. Sie führten tief in die örtliche rechte Szene und trafen auf eine Mauer des Schweigens. Es hatte zeitweise noch mehr Tatverdächtige gegeben, darunter Thomas H., Security-Unternehmer („Haller-Security“), Leitfigur der Chemnitzer Neonaziszene und Anführer der „HooNaRa“ („Hooligans, Nazis, Rassisten“), denen zumindest einer der Täter nahestand. H. ist kürzlich verstorben. Es war das ihm gewidmete „Gedenken“, das den Chemnitzer FC in eine tiefe Krise stürzte. In der Tatnacht vor zwanzig Jahren soll er selbst auf andere Linke eingeschlagen und Gesinnungsgenossen kommandiert haben.

Weiter aufgeklärt wurde das nie. Nach dem Chemnitzer Urteil war der Fall offiziell abgeschlossen. Ein anderer Verdächtiger erhielt von der Polizei sogar einen sichergestellten Baseballschläger zurück.

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Patrick Thürmer wäre beinahe in Vergessenheit geraten, und lange Zeit blieb ihm eine Anerkennung als Todesopfer rechter Gewalt versagt. Anfang 2011 gingen wir als Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag dem behördlichen Umgang mit Betroffenen rechter Gewalt nach, hörten dazu ExpertInnen und BeamtInnen an (Drucksache 5/4749). Auf unsere gezielte Nachfrage erfuhren wir vom Innenministerium, dass es im Fall Thürmer – wie bei einigen weiteren Taten auch – angeblich „keine Anhaltpunkte für das Vorliegen einer politisch motivierten Straftat“ gebe (Drucksache 5/5877).

Die Ermittlungen der Soko „Rex“, die Täter und das Urteil legten aber etwas anderes nahe. Infolge unserer Nachfrage und zumal nach dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) wurden zurückliegende Tötungsdelikte dann – unter erheblichem öffentlichem Druck – erneut untersucht. Anfang 2012 änderte sich die offizielle Bewertung. In einer späteren Landtagsanfrage bestätigte uns das Innenministerium schließlich, die neuerliche „Überprüfung“ habe ergeben, dass das Tötungsverbrechen nunmehr doch als politisch motivierte Straftat einzuschätzen sei (Drucksache 5/10987). Infolge dessen hat auch die Bundesregierung Patrick Thürmer als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.

Wir stießen im Landtag noch mehrmals auf den Fall, und zwar in den beiden durch uns miteingesetzten NSU-Untersuchungsausschüssen. Dort bekamen wir Unterlagen zu Gesicht, die ganz klar den politischen Hintergrund der Tat belegen. Unter anderem wurde im Zuge der Fahndung nach den 1998 untergetauchten Neonazis Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe eine Verbindung zu dem Fall, den Tätern und ihrem Umfeld – darunter der Zwickauer Neonazi Ralf „Manole“ M. – nicht ausgeschlossen.

Im März 2018 haben wir schließlich einen LKA-Beamten befragt, der seinerzeit mit den Ermittlungen betraut war. Der Zeuge bestätigte uns, dass von vornherein ein politischer Hintergrund zu vermuten war – und dass sich dieser Verdacht im Ergebnis der Ermittlungen auch bestätigt hat. In unserem Abweichenden Bericht zum jüngst abgeschlossenen NSU-Untersuchungsausschuss gehen wir darauf ein. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat zu dem Fall ebenfalls recherchiert.

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Morgen, am 3. Oktober, wird seiner gedacht, unter anderem mit einer Gedenkdemonstration in Hohenstein-Ernstthal. Es ist beschämend, dass sich dort, in der Nähe des Tatortes, keinerlei Räume für eine würdige Veranstaltung fanden.

Patrick Thürmer wäre heute 37 Jahre alt.

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