Offenbar ohne hinreichende Grundlage und ohne klares Ziel wurden bei der sächsischen Polizei mehrfach die Daten zahlreicher Personen gesammelt, die sich mit dem Corona-Virus infiziert hatten, die als Kontaktpersonen galten oder in häuslicher Quarantäne waren. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Kleinen Anfrage (Drucksache 7/2839), die jetzt der Innenminister beantwortet hat.
Die Polizeidirektion Dresden hat demnach bereits Anfang März – also noch zu Beginn der Pandemie – beim Landratsamt Sächsische-Schweiz Osterzgebirge entsprechende Daten angefordert. Daraufhin wurden mindestens sechs Mal Listen mit den Namen und Anschriften von insgesamt 114 Personen übermittelt. Pikant: Zu dieser Zeit war der Polizei unklar, ob solche Datenübermittlungen überhaupt rechtmäßig und erforderlich sind. In einer damaligen Erörterung mit dem Datenschutzbeauftragten der PD Dresden soll es zunächst „nicht zu einem abschließenden Votum“ gekommen sein – man ließ die Sache einfach laufen! Erst ab dem 17. März war Schluss und die bis dahin angefallenen Daten wurden vernichtet.
Trotzdem wurden auch danach noch Daten an die Polizeireviere Sebnitz, Freital-Dippoldiswalde und Pirna übermittelt – im direkten Zuständigkeitsbereich der PD Dresden. Das soll in einer Besprechung der Reviere mit dem Landratsamt Sächsische-Schweiz Osterzgebirge am 23. März vereinbart worden sein. Daraufhin wurden bis zum 5. April umfangreiche Listen an die drei Reviere übermittelt. Insgesamt handelte es sich um mehr als 7.200 Datensätze, die allerdings teils mehrfach die gleichen Personen betreffen. Die Datensätze beziehen sich auf 22 Ortschaften, am häufigsten aufgeführt: Pirna (1.420) und Freital (1.112). Offen ist, wie viele Personen tatsächlich betroffen sind. Mutmaßlich waren die meisten von ihnen gar nicht infiziert, vielmehr interessierte sich die Polizei auch für Reiserückkehrer aus Risikogebieten.
Den drei Revieren gingen solche Listen noch bis zum 5. April zu, erst danach wurden auch dort die Daten gelöscht. Viel zu spät! Zu diesem Zeitpunkt war diese Praxis bereits ausdrücklich untersagt worden. Zwei Tage zuvor hatte das Innenministerium die Polizei mit einem offiziellen Erlass ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass eine pauschale Übermittlung von Daten der mit dem COVID-19-Virus infizierten Personen an die örtlichen zuständigen Polizeidienststellen nicht in Betracht kommt.“ Im Bereich der PD Dresden und der Reviere hatten bis dahin mehr als 100 Polizeibedienstete grundsätzlich Zugriff auf die Daten. Ob sie wirklich abgerufen und wofür sie gegebenenfalls genutzt wurden, ist bis heute offen – genauso wie der eigentliche Zweck der Sammlung. Dazu heißt es nur lapidar, verschiedene Behörden und Dienststellen hätten die Rechtslage anfangs „nicht einheitlich beurteilt“.
Für mich am bedenklichsten: Dem Innenministerium war der gesamte Umfang der Übermittlungen zunächst nicht bekannt, man bekam das nach eigenen Angaben erst bei der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage mit. Auf eine vorangegangene Anfrage (Drucksache 7/2257) hatte das Innenministerium noch fälschlich behauptet, dass das Gesundheitsamt des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge entsprechende Daten „ohne Anforderung“ an die PD Dresden übermittelt hätte – nun ist klar, dass die Polizei diese Daten in Wirklichkeit aktiv „erbeten“ hatte. Von den weiteren Übermittlungen an die Reviere ist damals noch keine Rede gewesen.
Der Sächsische Datenschutzbeauftragte wurde durch die Polizei erst über die Vorgänge informiert, nachdem ich dazu Nachfragen gestellt hatte. Man habe den Datenschutzbeauftragten inzwischen gebeten, „gemeinsam das Thema aufzuarbeiten und gegebenenfalls noch erforderliche Verfahrensschritte abzustimmen.“ Offenbar wurden die Betroffenen immer noch nicht informiert, dass ihre Daten bei der Polizei landeten. Das muss jetzt zügig nachgeholt werden.