Zweierlei hat sich gestern in Leipzig gezeigt. Erstens: Die Infektionsschutz-Gegner haben sich genau so aufgeführt, wie es von einem Bündnis aus Einfältigen und Egoisten zu erwarten ist. Diesen verantwortungslosen Demagogen haben sich zahlreiche Neonazis, Hooligans und weitere Gewalttäter angeschlossen. Zweitens: Obwohl das absehbar war, hatte die Polizei die Situation nicht einmal ansatzweise im Griff. Offenbar gab es keine realistische Gefahrenanalyse, kein praktikables Einsatzkonzept und nicht einmal einen kleinen Lerneffekt aus dem, was zuvor in anderen Städten und kürzlich erst in Dresden zu beobachten war.
Die politische Verantwortung für dieses Desaster trägt der umstrittene Innenminister Roland Wöller. Es handelt sich um Staatsversagen.
Die Stadt Leipzig hatte im Vorfeld der Massenversammlung umsichtige Vorkehrungen getroffen, um die Lage frühzeitig zu entschärfen und dem Infektionsschutz gerecht zu werden. Völlig unverständlich ist hingegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bautzen. Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber die körperliche Unversehrtheit unbeteiligter Bürgerinnen und Bürger sowie eingesetzter Beamtinnen und Beamten ist es ebenso, genau wie die Pressefreiheit. Sie war in Leipzig nicht gewährleistet, Journalistinnen und Journalisten wurden wiederholt angegriffen. „Wir wollen rechtsextreme Netzwerke konsequent zerschlagen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Doch gestern hat der Staat vor ihnen gekuscht.
Zuvor waren stundenlang und zunächst folgenlos Auflagen gebrochen worden. Die Entscheidung, die Versammlung vorzeitig aufzulösen, kam zu spät. Für alles, was danach geschehen ist, hätte vorgesorgt sein können – und müssen, da die einschlägigen Aufrufe in ihrer Umsturz-Rhetorik kaum zu übertreffen waren. Eine tatsächliche Auflösung erfolgte nicht, stattdessen musste sich die Polizei überrennen lassen. Ein brauner Mob erzwang den ausdrücklich verbotenen Demonstrationszug, den die angeblich „friedlichen“ und „demokratischen“ Querdenker ursprünglich eingefordert hatten. Solche „Erfolgserlebnisse“ laden erfahrungsgemäß zur Wiederholung ein.
Das alles ist eine horrende Zumutung, die ein demokratischer Rechtsstaat keineswegs ertragen muss – und ein fatales Zeichen für alle, die vernünftig bleiben und solidarisch zur Eindämmung der Pandemie beitragen wollen. Ich erwarte jetzt konsequente und rasche Strafverfolgung gegen die Beteiligten und Organisatoren. Zudem muss der Innenminister unverzüglich erklären, was in Leipzig und vor einer Woche schon in Dresden schief lief und warum. Dafür werden wir eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragen.