Mit mehr als 170 Fällen im vergangenen Jahr hat Sachsen einen neuen Höchststand bei antisemitischen Straftaten erreicht. Das zeigt die Auswertung meiner monatlichen Kleinen Anfragen (zuletzt: Drucksache 7/5377). Die Daten, die mir Innenminister Roland Wöller bislang mitgeteilt hat, summieren sich für 2020 auf 173 polizeibekannte judenfeindliche Taten. Durch Nachmeldungen kann dieser erschreckende Wert sogar noch steigen.
Außen vor gelassen habe ich weitere zehn Fälle, die offensichtlich doppelt erfasst worden sind. Die Fallzahl ist damit bereits das vierte Jahr in Folge deutlich gestiegen. 2019 wurden 156 Taten bekannt, 2018 waren es 138, 2017 noch 118. Einen Tiefststand hatte es 2012 mit „nur“ 51 Fällen gegeben – seither klettern die Werte fast durchgängig nach oben. Die mit Abstand meisten Taten wurden – ähnlich wie in den Vorjahren – in Leipzig (39) und Dresden (24) begangen. Es folgen die Landkreise Bautzen (16), Meißen (14) und Nordsachsen (13). Eher gering war das Fallaufkommen in den Kreisen Görlitz (7), Zwickau (4) und Vogtland (2).
Rund 84 Prozent der Vorfälle waren sogenannte Propagandadelikte, vor allem Volksverhetzungen und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In die Statistik gingen aber auch 16 Sachbeschädigungen sowie einige Fälle von Beleidigung und Bedrohung ein. Zudem setzte sich die Entwicklung fort, dass antisemitische Propaganda häufig in Form von Hasspostings stattfindet. Zuletzt waren das über 50 Fälle, die Tatverdächtigen aus Sachsen zugerechnet sind.
Die Polizei hat 94 Prozent der Taten dem Bereich der rechtsmotivierten Kriminalität zugeordnet. Jeweils zwei gelten als religiös motiviert oder zählen zum Bereich „ausländischer Ideologien“. Sieben Fälle lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Klar ist: Jede Tat ist eine zu viel, egal aus welchem Bereich sie kommt – Judenhass ist nicht zu rechtfertigen, bei Antisemitismus kann es keinerlei Toleranz geben. Leider ist ein erhebliches Dunkelfeld anzunehmen, denn in die Statistik gehen nur Fälle ein, die der Polizei mitgeteilt werden und bei denen eine strafrechtliche Relevanz naheliegt.
Nach wie vor hinkt Sachsen bei der Verfolgung solcher Taten deutlich hinterher. Im Zuständigkeitsbereich sächsischer Staatsanwaltschaften gab es 2020 gerade einmal 14 Verurteilungen wegen antisemitischer Taten. Das waren genauso wenige Urteile wie im Vorjahr – und nur halb so viele wie etwa im Jahr 2017. Der Verfolgungsdruck reicht nicht einmal ansatzweise aus. Wir fordern, die Stelle des „Beauftragten für jüdisches Leben in Sachsen“ aufzuwerten, die bislang beim Kultusministerium angesiedelt ist. Der Beauftragte sollte hauptamtlich, möglichst unabhängig und ressortübergreifend Antisemitismus bekämpfen und vorbeugen können.