Neuer Verfassungsschutzbericht wird der Lage nicht gerecht

Der Bericht fällt in vielen Teilen erwartungsgemäß aus und spart mit Überraschungen – was aber nicht zur Beruhigung beiträgt. Das „rechtsextremistische Personenpotenzial“ ist auf einen neuen Höchstwert angestiegen, Hauptgrund sind die Einstufungen des sächsischen Landesverbandes der AfD und ihrer Jugendorganisation. Auf einem Dutzend Seiten berichtet die Behörde nun ausführlich über die Partei, nachdem sie erste Erkenntnisse bereits Anfang 2024 auf meine Kleinen Anfragen hin offengelegt hatte.

Auch die aktuelle Einschätzung fällt eindeutig aus: Das Höcke-Lager dominiert „den Charakter des gesamten Landesverbandes“. Als bloßes „Feigenblatt“ gilt die parteieigene Unvereinbarkeitsliste, die etwa eine gleichzeitige Mitgliedschaft bei den – ebenfalls wachsenden – Freien Sachsen ausschließen soll. Nach Erkenntnissen des LfV sind aber „zunehmend Kooperationen feststellbar“.

Überraschend hingegen sind die Ausführungen des Geheimdienstes zum sogenannten Linksextremismus und zum bald ein Jahr zurückliegenden „Tag X“ in Leipzig – einem der wenigen Anzeichen für das Aufleben der Szene, deren Aktionsniveau seit längerem sinkt. Dem Bericht zufolge sollen am 3. Juni 2023 an einer angemeldeten Versammlung in der Südvorstadt „ca. 1.000 Personen“ teilgenommen haben. Das ist allerdings neu, denn bisher hatte dieselbe Behörde von 1.500 Teilnehmenden gesprochen. Anscheinend hat hier mindestens eine Behörde den Überblick verloren. Anstelle von Zahlenspielen erwarte ich Genauigkeit, zumal genügend Zeit vergangen ist, um sich zu vergewissern. Die Polizei hatte ihre Zählung erst neulich kräftig nach oben korrigiert, nämlich auf 2.000, wie eine Linke-Anfrage ergab (Drucksache 7/16045).

Am befremdlichsten ist aber, dass der neue Bericht kaum Worte zum grassierenden Antisemitismus verliert. Dabei zeigen Polizeidaten, dass die Zahl judenfeindlicher Taten in Sachsen im vergangenen Jahr eine Rekordmarke gerissen hat, vor allem als Folge des Massakers der Hamas am 7. Oktober. Das LfV widmet diesem Thema zwar einen „Exkurs“ – aber weit hinten im Bericht und bezogen allein auf die „Phänomenbereiche Islamismus und Auslandsbezogener Extremismus“. Zu den maßgeblichen Initiatoren von Aktionen, die über sogenannte ,Israelkritik‘ weit hinausreichen, fällt kein Wort. Das wird der Lage nicht gerecht.

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