„Freie Kameradschaft Dresden“:
Ein Verwirrspiel

fkd
Beinahe prophetisch: Propaganda-Account der FKD, bis heute zugänglich.

Gegen die Gruppe wurde erst später ermittelt, als bisher angegeben. Womöglich war es kein sächsischer Ermittlungserfolg.

 

Heute geht es um ein unscheinbares Detail, an dem viel hängt. Es ist verzeichnet in der Antwort auf eine meiner jüngsten Landtagsanfragen, die sich um rechtsmotivierte Straftaten dreht, die im Monat Dezember 2016 begangen oder bekannt wurden (Drucksache 6/7771). Aus den insgesamt 223 Delikten sticht eines hervor: Die Bildung einer kriminellen Vereinigung in Dresden-Stetzsch am 25. April 2016. In diesem Fall, der erstmals vermeldet wird, gäbe es 17 Tatverdächtige, heißt es da, und sechs Personen säßen in Untersuchungshaft.

Mehr wurde nicht mitgeteilt. Doch die Angaben sind eindeutig: Gemeint ist offensichtlich die „Freie Kameradschaft Dresden“, kurz FKD. Am 30. November vergangenen Jahres gab es im Raum Dresden zahlreiche Hausdurchsuchungen gegen mutmaßliche Anhänger dieser Neonazi-Gruppe, alle im Alter von 16 bis 32 Jahren, alle wegen jeweils mehrerer Straftaten bereits einschlägig polizeibekannt. Ihnen wird vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. Mindestens 14 Einzelstraftaten werden der Gruppe zugerechnet.

 

Ermittlungen „bereits seit Juni 2015“?

 

Um welche konkreten Taten es in dem Ermittlungsverfahren geht, wollte Sachsens Innenministerium bislang nicht mitteilen. Nur die Beteiligung mutmaßlicher FKD-Mitglieder an einem Angriff von Neonazis und Hooligans im Leipziger Stadtteil Connewitz vor gut einem Jahr ist öffentlich bekannt. Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Gera gegen mehrere Anhänger, die sich am 1. Mai 2015 an Ausschreitungen bei einem Neonazi-Aufmarsch im thüringischen Saalfeld beteiligt haben sollen (Drucksache 6/7777).

Aber diese Ermittlungen haben mit dem Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung bislang nichts zu tun. Wann überhaupt das entscheidende Verfahren eingeleitet worden war, wurde auch nach mehreren Landtags-Anfragen nicht preisgegeben. Einziger Hinweis bisher ist ein unscheinbarer Satz in der gemeinsamen Pressemitteilung der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft und des Operativen Abwehrzentrums vom 30. November, dem Tag des Zugriffs:
 

„Bereits seit Juni 2015 laufen die Ermittlungen gegen die sogenannte ‚Freie Kameradschaft Dresden'“

 

Zu schön, um wahr zu sein

 

Das Innenministerium hat diesen Satz auf meine Anfrage hin wiederholt (Drucksache 6/7061) und sich dadurch zueigen gemacht. „Seit Juni 2015“, das klingt wie: Wir kannten diese Gruppe früh und haben sie fast anderthalb Jahre lang gewissenhaft mit kriminalistischen Mitteln aufgeklärt, bis wir sie gezielt aus dem Spiel nehmen konnten. Eine schöne Erfolgsgeschichte, die gerade der Generalstaatsanwaltschaft zupass kommt, war doch noch kurz vorher ihre eher abwartende Rolle bei den Ermittlungen gegen die mutmaßlich rechtsterroristische „Gruppe Freital“ kritisiert worden. Aber diese Dresdner Geschichte ist, wie sie klingt, einfach zu schön, um wahr zu sein.

Schon dieselbe Antwort auf meine damalige Anfrage hatte mich stutzig werden lassen. Denn die allererste dem Innenministerium bekannte Gruppen-Aktion der FKD soll, wie es dort ebenfalls heißt, ein gemeinsamer Pegida-Besuch gewesen sein – im September 2015. Ein Facebook-Account der FKD war beim „Verfassungsschutz“ im Vormonat aufgefallen. Wenn aber trotzdem schon „seit Juni 2015“ gegen die Gruppe ermittelt worden sein sollte, muss sie den Behörden überraschend zeitig ins Netz gegangen sein. So zeitig, dass man die Gruppe noch nicht kannte und von ihren Aktivitäten noch nichts wusste. Ermittlungen, die so laufen, wäre nicht post-, sondern präfaktisch. Beides darf nicht und das Zweite kann nicht sein. Es leuchtet daher ein, dass die FKD bei der polizeilichen Nachbereitung der Saalfeld-Ausschreitungen noch gar kein Thema war.

 

Am Rande von Pegida kennengelernt

 

Die Dinge müssen also etwas anders liegen. Schauen wir zurück: Tatsächlich hatten am 13. Juni 2015 mehr als 20 vermummte Neonazis in Dresden den Alaunpark gestürmt, dabei mehrere Jugendliche, die man für Linke hielt, angegriffen und gezielt verletzt. Ein Jahr später mussten sich dafür vier junge Männer vor dem Amtsgericht Dresden verantworten, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Raub und Sachbeschädigung. Zwei der Angeklagten, Robert S. und Dominik P., wurde außerdem die Beteiligung an einem Angriff auf eine Asylunterkunft in Dresden-Stetzsch („Lindenhof“) am 23. August 2015 – dem berüchtigten Heidenau-Wochenende – zur Last gelegt.

S. und P. waren deshalb bereits im Dezember 2015 in Untersuchungshaft genommen worden. Vor Gericht waren sie dann weithin geständig. Am Ende erhielten drei der vier Angeklagten mehrmonatige Freiheitsstrafen, jeweils ausgesetzt zur Bewährung. Aufhorchen ließen die Einlassungen während der Hauptverhandlung: S. und P., so stellte sich heraus, hingen nach eigenen Angaben der „Freien Kameradschaft Dresden“ an. Kennengelernt habe man die „Kameraden“ am Rande von Pegida-Versammlungen. Die Sächsische Zeitung hat über den Prozess umfangreich berichtet (1, 2, 3, 4) – und über einen möglichen Mittäter des Angriffs in Stetzsch: Timo S., mutmaßlicher Rädelsführer der „Gruppe Freital“.

 

Nur der Auftakt einer Gewaltwelle

 

Aus heutiger Sicht spricht einiges dafür, dass die Attacke im Alaunpark im Juni 2015 zwar der Auftakt einer regelrechten Gewaltwelle war, die unter anderem von der FKD ausging. Dass es Ermittlungsbehörden aber schon seinerzeit gelungen wäre, den Übergriff mit der Gruppierung in Verbindung zu bringen, ist eher unwahrscheinlich. Wer nachschaut, muss sich obendrein wundern: Dieser Fall ist überhaupt nicht in die Statistik rechtsmotivierter Straftaten eingeflossen, und auch nicht der Fall in Stetzsch, in dem ein selbstlaborierter Sprengsatz zum Einsatz kam. Dass diese Vorfälle zeitnah einen Anlass zu „Ermittlungen gegen die sogenannte ‚Freie Kameradschaft Dresden'“ geboten hätten, ist dementsprechend abwegig: Nicht einmal eine rechte Tatmotivation war anfangs angenommen worden.

Was hat es aber mit dem 25. April 2016 auf sich, der urplötzlich in der Statistik mit der Ortsmarke Stetzsch auftaucht? Kurz vorher war, wie gesagt, Anklage erhoben worden gegen mutmaßliche Täter in den Fällen Alaunpark und Lindenhof. Zum zweiten Fall soll Timo S. – mutmaßlicher Kopf der „Gruppe Freital“ und deshalb seit Dezember 2015 in Untersuchungshaft – „erst vor wenigen Wochen in einer Zeugenvernehmung“ umfangreiche Angaben („89 Seiten lang“) gemacht haben, so die Sächsische Zeitung. Und womöglich war er nicht die einzige. Denn zwischenzeitlich übernahm der Generalbundesanwalt den Freitaler Fall, beantragte neuerliche Durchsuchungsbeschlüsse und vollstreckte fünf weitere Haftbefehle. Das war am 19. April 2016.

 

Ermittlungen begannen offenbar viel später als angegeben

 

Denkbar also, dass sich ausschlaggebende Hinweise gegen die „Freie Kameradschaft Dresden“ aus den Ermittlungen im Komplex Freital ergaben – nachdem die sächsische Generalstaatsanwaltschaft den Fall an den Generalbundesanwalt abgegeben hatte. Die beiden militanten Neonazi-Gruppen sollen in der Tat auch zusammen vorgegangen sein, und zwar nicht nur in Dresden-Stetzsch. Dort geschah am 25. April 2016 laut offizieller Statistik übrigens nichts, auch das Gros der mutmaßlichen FKD-Anhänger ist dort nicht beheimatet. Näher liegt es, dass infolge von Aussagen zu früheren Überfallen von Amts wegen eine Strafanzeige wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gefertigt und der Vorgang deswegen – viel später, aber immerhin – in der Statistik verbucht wurde.

Das heißt aber, dass die Behauptung „seit Juni 2015 laufen die Ermittlungen gegen die sogenannte ‚Freie Kameradschaft Dresden'“ so nicht zutrifft, sondern die Wahrheit um gut zehn Monate verfehlt. Und dass sich der Ermittlungserfolg, der zur vorläufigen Zerschlagung der FKD führte, vielleicht nicht einmal sächsischen Ermittlungsbehörden verdankt. Sie haben nur eine schöne Legende gestrickt, die es anders aussehen lässt.

 

Merkwürdige Verstrickungen

 

Angesichts der Merkwürdigkeiten im benachbarten Freital-Komplex ist das einigermaßen delikat. Wir erinnern uns: Eine Person gab sich frühzeitig aussagebereit, aber die Polizei „schickte sie zum Verfassungsschutz“, wie Innenminister Ulbig einräumte. Gegen zwischenzeitlich drei Polizeibeamte liefen Ermittlungen wegen des Verdachts, den Informationsfluss umgekehrt und den Freitaler Neonazis Dienstinterna gesteckt zu haben. Und ein Anschlagsplan auf das alternative Hausprojekt „Mangelwirtschaft“ in Dresden wurde bei einer Telefonüberwachung vorab mitgeschnitten, aber nicht verhindert. Auch dieser Angriff im Oktober 2015 gilt als gemeinsame Aktion der „Gruppe Freital“ und der „Freien Kameradschaft Dresden“.

Vorerst letzter Akt: Eine vollständige juristische Aufarbeitung der Überfälle im Anlaunpark und in Stzetzsch wird es nicht mehr geben. Erst im Dezember stellte die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung ein (Drucksache 6/7772). Ein vormals beschuldigter Mann soll zwar an beiden Taten beteiligt gewesen sein. Die zu erwartende Strafe fiele aber, so die Einstellungsbegründung, „nicht beträchtlich ins Gewicht“ gegenüber einer anderen Tat, die da noch im Raum stehen muss.

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